von Silke Behling
Reitende Männer? Die sieht man ehrlich gesagt kaum. In den klassischen Reitställen sind sie per se Mangelware, in den Westernställen sieht man ab und an mal einen und bei uns Distanzreitern sind doch viele Männer immer noch als Wasserträger zu sehen.
Natürlich ist es wunderbar praktisch einen Mann als Trosser dabei zu haben. Aber warum reiten so wenige Männer? Diese Frage stellt sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung seit Jahren und hat dazu sogar eine Studie durchführen lassen. An der Universität Kassel hat man Mädchen und Jungen zwischen 5 und 9 Jahren befragt und herausgefunden, dass die Mädchen generell Tiere, die sie umsorgen dürfen, bevorzugen, Jungen hingegen rasante Fortbewegungsmittel (wobei das Pferd im Durchschnitt immerhin auf Platz drei rangiert!) (vgl. http://www.pferd-aktuell.de/ Doc-..15972/d.htm). Da erscheint mir spontan das Distanzreiten als recht schneller Ausdauersport für Jungs gar nicht so uninteressant! Demnach müssten die Männer reiten und die Frauen trossen – aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch dieses Ergebnis der Kasseler Wissenschaftler: „Bei den Mädchen steht weniger das Reiten, sondern eher die Umsorgung des Pferdes im Vordergrund des Interesses. Reiten ist für sie eher ein Mittel des Zugangs zum Pferd. Jungen sehen beim Reiten die Möglichkeit, mit anderen Jungen Spaß zu haben, und zwar bei wilderen, wettbewerbsorientierten und riskanteren Reitaktivitäten. Das Pferd ist hier kumpelhafter Spielkamerad.“ (Quelle: http://www.pferd-aktuell. de/Doc-..15972/d.htm) Auch dieses Ergebnis spricht meines Erachtens dafür, dass Distanzreiten durchaus ein Sport für Männer ist. Folgende Aussage von H. A. Euler, H. Adolph und S. Gründel vom Fachbereich Psychologie, Sportwissenschaft und Musik der Universität Gesamthochschule Kassel bestätigt meine oben genannte Vermutung: „Jungen hingegen können dem Voltigieren und der Dressur im allgemeinen wenig abgewinnen. Sie wollen reiten wie Cowboys und Indianer: Kein langwieriges Üben der reiterlichen Grundfähigkeiten, sondern möglichst bald hinaus in die Natur. Wenn Dressur, dann eher „heldenhafte“ Zähmung wie beim Rodeo. Sie wollen sich mit anderen Jungen messen können, Mutproben bestehen, wilde und schnelle Ritte machen, Wettritte veranstalten, Abenteuer bestehen. Notwendige Pferdepflege ist für sie dabei nur eine unumgängliche Pflicht.“ (Quelle: http://www. pferd-aktuell.de/Doc-..15972/d.htm).
Wenn die Kasseler Wissenschaftler Recht haben, dann wünschen sich Jungs schnelle Ritte und Wettkämpfe, Mutproben und Abenteuer. Ist Distanzreiten dann nicht der ideale Reitsport für Männer? Dass sie dennoch eher seltener als wir Frauen auf dem Pferd als neben dem Pferd zu sehen sind, liegt wahrscheinlich daran, dass einfach generell weniger Jungs reiten. Wir Frauen haben ja in der Regel schon als kleine Mädchen auf dem Pferd gesessen und kommen oft aus anderen Disziplinen auf die Strecke.
Das Nachwuchsproblem hat die FN natürlich ebenfalls erkannt. Aus der genannten Studie entstand bei der FN ein Wettbewerb: Die deutschen Reit- und Fahrvereine und anderen Pferdebetriebe wurden aufgefordert, ihre eigenen Konzepte für Jungen vorzustellen. Bewertet wurden von der Jury Ideenreichtum, Vielfältigkeit und praktische Umsetzungsfähigkeit der besonders für Jungen angelegten Unterrichtselemente. Heraus kam, dass Jungen eigentlich bereits gefördert werden: „Jungen werden zum Teil schon heute in einigen Einrichtungen in ihrem Wunsch, ohne die zahlenmäßige Übermacht der Mädchen ihren Vorlieben entsprechend an den Reit- und Fahrsport herangeführt. Die nötigen – auch handwerklichen – Arbeiten rund ums Pferd werden ihnen ebenso nahegebracht wie kombinierte Sportangebote mit sogenannten Fun-Sportarten.“ (Quelle: http:// www.pferd-aktuell.de/Doc-..15972/d.htm)
Es gab also viel Lob in eigener Sache von der obersten Reitervereinigung, aber geändert hat sich in den deutschen Reitställen nicht viel. Wohin man schaut – es sind die Mädchen und Frauen, die reiten. Und dies zieht sich bis zu den mittleren Turnierklassen, egal in welcher Disziplin. Nur eines ist bei den Distanzreitern zumindest in Deutschland anders – ganz oben sind in der Regel auch die Frauen.
Im Springreiten, beim Westernreiten und teilweise auch in der Dressur ist das anders: Sobald es in die höheren Turnierklassen geht, dominieren die Männer. Bei uns Distanzreitern ist das nicht so: Auf den Starterlisten der großen Wettkämpfe sind die Frauen in der Mehrzahl. Ob Kentucky oder Nörten-Hardenberg, Männer sind bei den Distanzreitern doch immer noch überwiegend als Trosser anzutreffen.
Was sagen die distanzreitenden Männer dazu? Empfinden sie sich als Minderheit? Reinhard Habichtsberg plant gerade, in das Distanzreiten einzusteigen. Ahnt er, was ihn erwartet? Beschäftigt es ihn überhaupt, dass überwiegend Frauen Distanzen reiten? Auf die Frage, ob er Distanzreiten als frauendominierten Sport empfindet, meint er: „Das weiß ich noch nicht. Schlimmer als in den anderen Sparten wird es wohl nicht sein. Als männlicher Reiter im Freizeitsport, der nicht Springen oder Western heißt, bin ich es gewöhnt, kaum männliche Mitstreiter anzutreffen.“ Hannes Dörr, Hundertmeiler-Reiter, weiß, dass man durchaus andere Männer trifft: „Von den Teilnehmerinnen her natürlich schon. Das wird aber wieder ausgeglichen durch die trossenden Männer. Zum Glück ist der Zickenkrieg nicht ganz so verbreitet wie in den anderen Disziplinen und als Mann kann man sich da wunderbar raus halten …“
So meint Tierarzt Klaus Kimmich auf die Frage, ob Distanzreiten eine Frauendomäne sei: „Frauendominiert? Ich würde das so nicht bezeichnen, obwohl der Frauenanteil sehr hoch ist. Vielleicht liegt das am durchschnittlichen Gewichtsunterschied, vielleicht aber auch daran, dass Männer vielleicht nicht so geduldig sind und eher spektakulärere Disziplinen bevorzugen, eher intensiv kurzzeitig, als extensive Langzeitbelastung. Ich selbst reite auch lieber in einem Springparcours, wenn ich selbst reite, bin jedoch fasziniert, wennich Distanzpferde im Training und auf langen Distanzritten betreuen kann.“ Vielleicht ist ja doch etwas dran, an der FN-Studie, die meint, das Jungs eher spektakuläre Reitsportdisziplinen bevorzugen?
Klar scheint zumindest, dass die befragten Männer im Distanzsport kein Problem damit haben, dass (noch) mehr Frauen als Männer starten. Jürgen Biewer empfindet Distanzreiten zwar durchaus als „frauendominiert“, aber das ist für ihn kein Problem: „Eindeutig ja. Macht aber auch nichts, ich reite gerne mit Frauen zusammen.“ Jürgen Biewer ist auch einer der wenigen Männer, die nicht durch eine Frau zum Distanzreiten gekommen sind: „Ich bin zum Distanzreiten gekommen, weil ich nach längerer Reitabstinenz (früher ritt ich Western )1996 von Franz Brück, den ich schon seit fast 30 Jahren kenne, das Angebot bekam, ab und an seinen Hengst Seoul zu reiten. So bekam ich einen Einstieg ins Distanzreiten (früher wusste ich noch nicht mal, was das ist) und half Franz und seiner damaligen Lebensgefährten ihre Pferde auf Wettbewerbe vorzubereiten, sowie einige Male zu trossen. 1998 kaufte ich den damals 1-jährigen Seoulsohn Skol, was lag näher, mit ihm später in den Distanzsport einzusteigen.“
Hannes Dörr hingegen wurde von einer Frau mit zu einem Ritt genommen: „Unsere Tierärztin hat mich 1995 mit zu Peter Ludwigs 25 Meilen von Pussade (56km) geschleppt. Ich war vollkommen ahnungslos genauso wie mein 22-jähriger Holsteiner Coco. Trotzdem war ich sofort infiziert.“ Auch Klaus Kimmich ist ebenfalls zu seinem ersten Distanzritt mitgenommen worden: „Zum Distanzreiten bin ich eher zufällig gekommen. Eswar Ann Mayer, die mich als TreatingVet auf die DM in Löffingen vor einigen Jahren geholt hat.“ Der Tierarzt, Pferdebesitzer und auch Reiter war gleich fasziniert: „Das war mein erster echter Bezug zu diesem Sport und ich fand die Dynamik, die diesen Sport auszeichnet, sehr anziehend. Mich hat dann sofort auch die Herausforderung fasziniert, an diese Ausdauerdisziplin mit dem Anspruch auf zielgerichtete Sportmedizin heranzugehen. Als ich als Mannschaftstierarzt in Aachen dabei war, wiederholt als Treating Vet und als Tierarzt in verschiedenen VetGates ist mir klar geworden, dass wir Tierärzte nicht genügend praktische Erfahrung von diesem Sport haben, vor allem vom Training. Deshalb habe ich nachAachen zwei Kabardiner gekauft, um diese trainieren zu können und dadurch Erfahrungen zu sammeln. Das hat sich dann etwas verselbständigt, es kam Wettkampf- und Trainerehrgeiz dazu und irgendwann auch mehr Pferde. Wir haben aber auch viele Versuche z.B. mit Leistungstests gemacht, wozu diese Pferde und deren Training notwendig waren und sind.“
Rainer Nardmann kam auf klassischem Wege zum Distanzreiten – vom Trosser zum Reiter: „Zum Distanzreiten bin ich durch eine Freundin gekommen. Erst als Trosser, dann mit eigenem Pferd.“
Und wenn sie reiten? Was machen unsere Männer denn dann, dass man sie so selten sieht? Jürgen Biewer ist mit seinem Skol regelmäßig unterwegs: „Wenn es gut läuft, reite ich im Jahr 3 bis 4 Distanzritte, mittlerweile ist mir die lange Strecke am liebsten, dieses Jahr startet mein Pferd zum siebten Mal auf der Pfingsttour-West (MTR 2 Tage 140 km) Wenn bei uns im Saarland (das ja als Diaspora unseres Sports bekannt ist) ein KDR stattfindet, warum nicht?“ Klaus Kimmich startet selbst nur gelegentlich, „Ich habe nur wenige Distanzen geritten, bis 60 km. Ich werde gelegentlich einmal wieder selbst reiten, aber nicht mehr. Zum einen denke ich, dass ich als Tierarzt sowohl im VetGate, als auch in der Trainings- und Rittbetreuung, gelegentlich reiten sollte, um mich mehr hinein versetzen zu können. Ich reite aber auch im Training gelegentlich selbst mit, da ich ja als Trainer das Training sehr stark mit plane und bestimme. Und dazu ist es vorteilhaft, die Pferde nicht nur von „unten“ zu kennen, sondern auch aus der Sattelperspektive.“ Hannes Dörr sieht man hingegen öfter auf den großen Wettkämpfen im Sattel: „Dieses Jahr werde ich in etwa 10 Ritte gehen, die letzten Jahre waren es 8-10. Ich reite eigentlich alles vom Einführungsritt ( junges Pferd), über MTR (auch Kartenritt) bis zum 100 Meiler, am liebsten Strecken so um 100 km.“ Da haben wir also einen der wenigen Männer, die regelmäßig auf Distanzritten zu sehen sind!
Und was fasziniert die Männer am Distanzsport? Reizt sie, wie die Kasseler Studie vermuten ließ, die Geschwindigkeit? Wilde und schnelle Ritte? Hannes Dörr aus dem niedersächsischen Zernien gefällt der „Ausdauersport in der Natur mit dem Partner Pferd. Treffen mit netten Mitmenschen und Freunden. Gemeinsames Bestehen von Herausforderungen. Wer ist schon so bescheuert und reitet 100 km bei Kälte und Regen oder bei 35°C? Allgemein die Gemeinschaft.“ Das hört sich weniger nach dem wilden Abenteurer an, als nach den Gründen, die ich von vielen Frauen auch als Gründe für den Spaß am Distanzreiten kenne. Und auch Jürgen Biewer antwortet ähnlich: „Der Reiz unseres Sports liegt für mich darin, mit netten Gleichgesinnten (ich mag keine Ritte, auf denen zu ehrgeizige egoistische Menschen starten, lieber Kartenritte mit kleinen Starterzahlen) an den Start zu gehen und einen schönen Ritt in landschaftlich reizvoller Umgebung zu bestreiten. Bei mir steht der Spaß an erster Stelle, Tempo ist Nebensache, ich reite nicht schneller als T5.“ Unsere Distanzreiter scheinen gar nicht so wilde Jungs zu sein, wie die von der FN veranlasste Studie vermuten ließ. Rainer Nardmanns Aussage ähnelt denen der anderen Männer sehr: „Der Reiz beim Distanzreiten ist das Gefühl zur Einheit mit dem Pferd zu werden, als Distanzreiter ist man das ganze Wochenende mit seinem Pferd zusammen, und es ist nicht nur eine Prüfung von max. 5 Minuten zu reiten. Beim Distanzritt selbst bekommt man ein ganz anderes Gefühl für sein Pferd. Die tierärztliche Versorgung ist wichtig, und natürlich das Treffen anderer Reiter.“ Die tierärztliche Versorgung ist natürlich auch für den baden-württembergischen Tierarzt Klaus Kimmich wichtig, den die sportmedizinische Sicht auf die Pferde im Wettkampf fasziniert: „Der Reiz des Distanzreitens ist für mich die Dynamik dieses Sports und die Herausforderung lange Strecken möglichst schnell und dazu mit der geringstmöglichen Belastung für die Pferde zu schaffen. Dieser Reiz gilt für mich als Gelegenheitsreiter genauso wie für als Trainer und in allererster Linie als Tierarzt. In der Sportmedizin gibt es noch eine Unmenge an Stoff, den wir verstehen lernen müssen und irgendwann auch zum Vorteil anwenden können.“
Und wie sieht das der Neuling, der erst noch ins Distanzreiten einsteigen möchte? Reinhard Habichtsberg hat bisher viele Wanderritte absolviert. Was erwartet er nun vom Distanzreiten? Was begeistert ihn: „1. Die Pferde, ich mag diesen Pferdetyp sehr. 2. Die Bewegung und das Einswerden mit der Natur. 3. Die Zusammenarbeit mit dem Pferd und die gemeinsam erbrachte Leistung. Und nicht zuletzt hoffentlich auch die Menschen, die ich dort treffen werde.“ Reitende Männer scheinen nicht anders über das Distanzreiten zu denken als wir Frauen. Vielleicht brauchen Sie auch gar keine andere Ansprache oder spannende Studien, um zum Distanzreiten zu kommen. Sie scheinen „nur“ deshalb in der Minderheit zu sein, weil per se weniger Jungs und Männer reiten als Mädchen und Frauen.
Ihre Erwartungen sind die gleichen. Männer sind eben doch auch nur Menschen wie Du und ich.