Der Kreuzverschlag – Equine Rhabdomyolose

von Monika Berghaus

Die besonders bei Renn-, Vielseitigkeits- und Distanzpferden auftretende Erkrankung der Muskulatur ist auch unter den Namen Feiertagskrankheit, Lumbago oder Tying-Up-Syndrom den meisten Reitern ein Begriff und zu Recht gefürchtet. Die großen Muskelgruppen in der Hinterhand, im Kruppen- und Lendenbereich sind verspannt und schmerzhaft. Nur selten sind die Muskeln in den Schultern und der Vorderhand von dem plötzlichen massiven Abbau der Skelettmuskeln betroffen.

Während der ersten halben Stunde im Training oder im Wettkampf scheint alles in Ordnung, dann plötzlich bewegt sich das Pferd nur noch unwillig, die Muskulatur fühlt sich hart an, wird warm und zittert. Das Pferd bekommt Krämpfe und fängt an zu schwitzen. Es hat sichtliche Schmerzen, geht lahm, atmet schneller und der Herzschlag ist erhöht.

Die Symptome sind mal mehr, mal weniger auffällig und es müssen auch nicht immer alle beschriebenen Symptome auftreten. Milde Fälle sind daher schwer zu erkennen. In extremen Fällen kann es zu massiven Muskelschäden mit Nierenversagen und Tod kommen. Die Symptome können aber nicht nur während der Arbeit auftreten, sondern auch unmittelbar danach. Besonders bei schweren Fällen besteht Verwechslungsgefahr mit anderen Erkrankungen die mit starken Schmerzen einhergehen, wie beispielsweise Thrombosen der Hinterhand, Knochenbrüche oder Koliken.

Symptome
• Bewegungsunwilligkeit
• steifer Gang mit Verkürzung der Schritte
• verspannte u./o. verkrampfte Muskulatur der Hinterhand
• Anschwellen und Erwärmung der Muskulatur
• Muskelzittern und schwitzen
• Anstieg der Körperinnentemperatur (normal: 37.5-38.5 °C)
• Anstieg der Atemfrequenz (normal: 14 Atemzüge/min)
• Anstieg der Herzfrequenz (normal: 26-40 Schläge/min)
• rot bis schwarzbraun verfärbter Urin
• Versuch sich hinzulegen bis hin zum Festliegen
• gelegentlich Koliksymptome: flehmen, wälzen, scharren, Umdrehen zum Bauch bzw. zur Hinterhand

Beobachtet man diese Symptome bei seinem Pferd, sollte man sofort das Training bzw. den Wettkampf abbrechen, es in seine Box stellen und umgehend den Tierarzt informieren. Denn: Ein Kreuzverschlag ist immer ein Notfall! Bei kühler Witterung sollte eine Decke aufgelegt werden. Wasser kann wiederholt in kleinen Mengen angeboten werden.

Diagnose & Therapie
Auf Grund unterschiedlicher Ursachen gibt es keine einheitliche Behandlung. Der Tierarzt muss im Einzelfall abwägen, welche Therapiemaßnahmen er einleitet. Er wird in den meisten Fällen dem betroffenen Pferd als erstes einen Schmerz- und Endzündungshemmer (z. B. Phenyl- butazon) verabreichen und ggf. eine Infusion zum Ausgleich von Flüssigkeits- und Elektrolytimbalancen anlegen, um eine eventuelle Nierenschädigung zu minimieren. Präparate zur Unterstützung der Nierenfunktion und zur besseren Durchblutung – auch auf homöopathischer Basis – können ebenfalls verabreicht werden. Eine alte Methode, die auch heute gelegentlich wieder Anwendung findet, ist der Aderlass. Zur Abgrenzung von neurologischen Problemen oder Vergiftungen wird der Tierarzt einen genauen Vorbericht benötigen. Er wird daher Fragen zur Fütterung, Haltung und Training stellen.Für die sichere Diagnose ist aber in jedem Fall ein Bluttest unumgänglich, bei dem die Höhe bestimmter Muskelparameter festgestellt wird. Eine Urinprobe ist zur Diagnose des Kreuzverschlags auch sehr aufschlussreich. Meist kann man schon mit bloßem Auge eine rötlich-braune Verfärbung des Urins feststellen. Zu der Rotfärbung kommt es durch das sauerstoff-transportierende Pigment Myoglobin, welches durch den Abbau von Muskelzellen ins Blut freigesetzt und über die Nieren ausgeschieden wird. Ein Anstieg von Myoglobin im Blutplasma gibt einen Hinweis auf einen Muskelschaden – lange bevor dieser im Urin sichtbar ist. Für die weitere Diagnostik kann zusätzlich eine Muskelbiopsie erforderlich sein. Gerade wenn das Pferd wiederholt an Kreuzverschlag erkrankt ist, sollte für das weitere Vorgehen ausgeschlossen werden, ob eine Muskelstoffwechselerkrankung alsUrsache in Frage kommt. Zur Behandlung und für die Entscheidungsfindung, ab wann und mit welcher Intensität das Training fortgesetzt werden kann, ist eine Überwachung der Muskelwerte im Blut hilfreich. In der Regel kann man mit einer Regenerationszeit von etwa drei Monaten rechnen, diese weicht aber im Einzelfall u. a. von der zu Grunde liegenden Ursache und den festgestellten MuskelwertenMuskelwerten ab. Bleibt der CK-Wert unter 250.000 ist ein zukünftiger Einsatz im Sport wahrscheinlich, steigt der CK-Wert über 500.000 sieht die Prognose über den zukünftigen Sporteinsatz eher schlecht aus. Die Ursache für den Kreuzverschlag sollte in jedem Fall ergründet werden, um zukünftige Probleme zu vermeiden. Änderungen im Trainingsplan oder in der Fütterung sind meistens notwendig. Sobald sich das Pferd wieder schmerzfrei bewegen kann, wird eine regelmäßige Bewegung, die langsam gesteigert werden soll, in einem anfänglich begrenzten Areal, z.B. auf dem Paddock, empfohlen. Erst wenn die Muskelwerte wieder im Normalbereich liegen, kann das Pferd wieder geritten werden. Bis dahin sollte das Pferd geführt und begleitend einer Wärmetherapie unterzogen werden (z.B. Solarium, Eindecken oder warme Umschläge). Bei Pferden mit einer chronischen Form des Kreuzverschlags (Equine Polysaccarid-Speichermyopathie – PSSM) wird leichte Arbeit auch dann empfohlen, wenn die Muskelwerte über dem Normalbereich liegen, da sonst die Symptome verschlimmert werden. Je nach Schwere und dem Beginn der richtigen Behandlung kann es in der Spätfolge zu dauerhaften Muskelschäden mit daraus resultierenden Lahmheiten oder zu Schäden am Herzmuskel, die zu einer Konditionsschwäche führen, entstehen.

Ursachen
Mögliche Ursachen für das sporadische Auftreten von Kreuzverschlag („sporadic exertional rhabdomyolysis – SER“) sind Hitzestress (Arbeit bei ungewohnt hoher Luftfeuchtigkeit) einhergehend mit Austrocknung und Elektrolytimbalancen, Fütterungsfehler (zuviel Getreide), Vitamin E/ Selen Mangel und Trainingsfehler, zum Beispiel Überanstrengung oder eine plötzliche ungewohnte Belastung bei zeitgleicher Überversorgung mit Kraftfutter. Auch spielen vorausgegangene Erkrankungen wie zum Beispiel Influenza oder Herpes eine Rolle. Die zwei bisher bekannten chronischen Formen des Kreuzverschlages sind erblich und gehören zu den Stoffwechselerkrankungen. Von der sogenannten „Equinen Polysaccarid- Speichermyopathie (PSSM)“ bei der es zu einer unnormalen Ansammlung von Glykogenim Skelettmuskel kommt, sind hauptsächlich die Kaltblutrassen und das Quarter Horse betroffen. Ursächlich für PSSM scheint eine genetische Mutation im Glykogen Synthase Gen (GYS1) zu sein, die zu einer Überproduktion von Glykogen im Muskelgewebe führt. Träger der Mutation können über einen Gentest identifiziert werden. Allerdings bedeutet ein negatives Ergebnis nicht, das PSSM ausgeschlossen werden kann, da es noch einen zweiten Typ gibt, der nicht mit diesem Test identifiziert werden kann. Die andere chronische, erbliche Form des Kreuzverschlags ist die „recurrent exertional rhabdomyolysis (RER)“ – also ein wiederkehrender Kreuzverschlag – von der Vollblüter, Traber und Araber betroffen sind.

Formen des Kreuzverschlags
(Da eindeutige deutsche Begriffe fehlen, werden die englischen Bezeichnungen verwendet)
• Sporadic exertional rhabdomyolysis (SER)
• Chronic extertional rhabdomyolysis – Recurrent exertional rhabdomyolysis (RER) – Polysaccaride storage myopathie (PSSM)

Bei der RER wird eine Abnormalität in der Regulierung von Calcium in den Muskelzellen vermutet. Gut trainierte Pferde mit einem nervösen Temperament und Stuten im Rossezyklus sind vermehrt betroffen. Ein Überanstrengungs- oder Fütterungsproblem liegt nur in den seltensten Fällen vor, dafür scheinen Lahmheiten eine Rolle zu spielen. Die Symptome sind in der Regel milder als beim sporadisch auftretenden Kreuzverschlag (SER), es kommt allerdings auf Grund einer plötzlichen Calciumausschüttung vermehrt zu Krämpfen und Spasmen. Zeitgleich steigt der CK-Wert stark an, die Laktatwerte sind vermindert. Eine völlige Ruhigstellung, wie beim sporadischen Kreuzverschlag notwendig, verschlimmert nur die Symptome. Daher hilft leichtes Training und Stressreduzierung. Bei Trabern wurde beobachtet, dass Intervalltraining hilft, die Probleme mit RER zu reduzieren. Weiterhin wird die Gabe von Acepromazin, ein Sedativum welches hierzulande unter dem Namen Vetranquil vertrieben wird, 30 Minuten vor dem TraiTrainingsbeginn empfohlen. Bei Stuten wird durch Gabe von Progesteron, dem Schwangerschaftsschutzhormon, der Rossezyklus unterdrückt. Forscher sind den verantwortlichen Genen für diese Stoffwechselstörung auf der Spur, so dass in naher Zukunft eventuell ein Gentest vorliegt.

Vorbeugung
Kennt man die Ursache für das Auftreten von Kreuzverschlag kann man Maßnahmen zur Vermeidung eines erneuten Auftretens ermitteln. Pferde mit PSSM oder RER sollten regelmäßig, d. h. ohne Stehtage, gleich gearbeitet werden. Die Reduzierung von Stress, wo immer möglich, und eine Umstellung der Haltung – Offenstall statt Box -, sowie die Gabe von Vitamin E/Selen können ebenfalls vorbeugen. Letzteres ist allerdings umstritten und sollte, wenn, dann nur nach einer Blutuntersuchung unter strenger Indikation verabreicht werden (Stichwort: Selenvergiftung). Eine medikamentöse Prophylaxe ist möglich, wie zum Beispiel die bereits angesprochene Gabe eines Sedativums bei nervösen oder gestressten Pferden. Das sollte aber in jedem Fall mit dem Tierarzt abgesprochen werden. Generell sollten Pferde nicht überanstrengt werden, sondern im Rahmen ihrer Fitness bzw. Kondition gearbeitet werden. Die Intensität der Arbeit sollte nur langsam gesteigert werden. Eine ausgewogene Fütterung mit ausreichend Vitaminen und Mineralstoffen, wenig Stärke (Getreide) und einem hohem Fettanteil ist von Vorteil. Der Fettanteil kann z.B. durch die Zugabe von Pflanzenöl erhöht werden. Das Raufutter sollte faserreich und von guter Qualität sein.

Quellenangabe: The Horse – www.thehorse.com