Erfolgstrilogie Teil 1: Erfahrung

Wie gut sind Deutschlands Top Distanzreiter?

von Martin Boesel

 

Ziemlich gut.

Damit könnte der Artikel am Ende sein. Aber es lohnt sich, mal etwas genauer hinzuschauen. Denn so können die Leser und vielleicht auch der eine oder andere Offizielle etwas besser verstehen, wie Erfolge im internationalen Distanzreiten entstehen.

Auch wenn der Gewinn der Mannschaftsmedaille in Kentucky die hohe Qualität deutschen Distanzreitens zu bestätigen scheint, sollte es sich keiner zu einfach machen. Ja, da gibt es ein paar erstklassige Reiter und ein paar ebenso erstklassige Pferde. Aber es sind bisher nur wenige, die auf dem geforderten Niveau reiten, und Chancen haben, es auch in Zukunft zu tun.

 

Wer ist ziemlich gut?

Drei Reiterinnen ragen zur Zeit ganz klar heraus und zwar durch Kontinuität, viel Erfolg und ihre aktuellen Pferde: Sabrina Arnold, Belinda Hitzler und Gabriela Förster.

Seit Jahren stehen sie in Deutschland ganz vorne und international gehören sie zumindest zur erweiterten Weltklasse. Das beweisen die Top-Ten-Plätze bei den Europameisterschaften 2007 und 2009. Sicherlich, der zeitliche Abstand zu den Siegern war noch recht deutlich, bei Belinda ca. 1 Stunde, bei Gabriela 25 Minuten, aber bei Sabrina letztendlich nur noch ein paar Minuten. Es sind Zeiten, die jeden Teamchef glücklich stimmen müssten.

Wenn also das Team funktioniert, dann gehören die Deutschen in der momentanen Zusammensetzung in der Nationenwertung zur Weltspitze. Dies hat sich ja auch in den USA nachdrücklich bestätigt. Der dritte Platz hat, sportlich gesehen, einen besonders hohen Wert. Denn im Gegensatz zu anderen Championaten profitierte der Drittplatzierte diesmal nicht von dem Ausfall der beiden stärksten Mannschaften, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Franzosen. In Kentucky schafften es die beiden Führungsnationen ihre Teams zusammenzuhalten und waren noch unschlagbar. Der dritte Platz ist also ein sehr reelles Leistungsergebnis, denn um ihn stritten so starke Mannschaften wie Spanien, Italien, Portugal, Argentinien, Brasilien, Bahrain, Qatar usw. Deutschland gewann erfreulich souverän.

 

Es gibt wirklich nur diese drei Topreiterinnen?

Nein, natürlich nicht. Sabrinas Schwester Melanie gehört sicherlich ebenso in diesen exklusiven Kreis, auch wenn sie noch keine Top-Ten-Ergebnisse bei den großen Championaten vorweisen kann. Sie hat an vielen Wettkämpfen teilgenommen und gute Platzierungen erreicht. Der Sieg bei den Deutschen Meisterschaften verweist auf Uschi Klingbeil. In Kentucky überzeugte auch Petra Hattab und stellvertretend für alle Topreiter ohne z. Zt. konkurrenzfähiges Pferd sei auf Bernhard Dornsiepen verwiesen.

Aber egal wie großzügig man rechnet, absolut top sind nur ganz wenig und halbwegs dicht dran auch nicht sehr viele. Was aber macht es seit Jahren so schwer, die Gruppe der Topreiter groß zu machen? Warum bleibt sie so klein?

 

Erfahrung ist viel im Distanzsport, sehr viel!  

Kommen wir nochmals zurück auf die drei Reiterinnen, denn sie bieten einen faszinierenden Vergleich. Alle drei starteten ungefähr zur gleichen Zeit ihre internationale Karriere. Alle drei Reiterinnen benötigten rund 10 Jahre, um bei einem Championat (Senioren) mit einer erstklassigen Zeit unter die Top-Ten zu kommen. Dies verwundert eigentlich, denn die Biographien der Drei könnten kaum unterschiedlicher sein. Wenigsten eine hätte es doch viel schneller schaffen können, oder?

Belinda war die erste Deutsche, die sich an einer Professionalisierung des Distanzreitens versuchte. Sie ist ein paar Jahre älter als Sabrina. Sabrina zog nach und schaffte sich professionelle Strukturen in Frankreich.

Gabriela ist bis zum heutigen Tag die klassische Amateurin, sprich Vollzeitjob plus anspruchsvolles Hobby. Sie ist die Älteste der Drei.

Sabrina und Gabriela bestritten schon 1995 in Morlaix/Frankreich ihre erste Europameisterschaft. Bei Gabriela sogar gekrönt mit einer Mannschaftsmedaille. Sabrina hielt sich dann bei der ersten Jugendweltmeisterschaft schadlos und gewann Einzelbronze. Sabrina und Belinda (und Melanie) sind immerhin Deutsche Meisterinnen. Also Erfolge sind reichlich da.

Aber egal welches Alter und egal welcher finanzielle und organisatorische Hintergrund und egal welche sportlichen Vorerfolge zu verzeichnen waren, es dauerte bei allen rund 10 Jahre, bis sie  sich zur erweiterten Weltspitze zählen durften. Diese Fakten geben einen wichtigen Hinweis, auf was es im Distanzsport ganz wesentlich ankommt – Erfahrung.

Es ist genau dieser Erfahrungsvorsprung, der die große Lücke zwischen den besten deutschen Reitern und den guten danach begründet.

 

Warum ist im Distanzsport diese Erfahrung so entscheidend?

Das lässt sich relativ konkret benennen.

1. Die Leistungsgrenze eines Pferdes.

• Der Reiter möchte besser sein als andere, sonst gibt es keine Medaillen.

• Der hohe Druck von 100 und mehr Pferden verleitet

fast jedes Pferd über seinem Tempo zu gehen.

Der erfahrene Distanzreiter fühlt bzw. kennt diese Leistungsgrenzlinie sehr genau und reagiert der Situation gemäß, sprich, reitet genau auf der an diesem Tag möglichen Linie. Unerfahrene Reiter haben trotz toller Pferde und gutem reiterlichen Könnens hier besonders viel Schwierigkeiten. Sie reiten entweder zu langsam oder aber zu schnell, selten optimal. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn der Reiter unter dem Druck von 100 oder mehr Pferden bei einer Weltmeisterschaft steht. Ich erlebe es immer wieder, dass selbst erstklassige Reiter in WM‘s scheitern, nur weil sie diesen immensen Druck nicht kennen und deshalb damit nicht umgehen können.

2. Die Risikoabschätzung

Der erfahrene Reiter hat sehr genaue Vorstellung von den Risiken, die er eingeht. Er geht nur hohes Risiko, wenn es sich auch lohnt. Umgekehrt ist er ebenso in der Lage, das Risiko zu minimieren. Es ist eine sehr günstige Konstellation für eine Teamleitung, von allen Reitern jede taktische Maßnahme verlangen zu können. Dem wäre bei unerfahrenen Reitern nicht so. Aber diese Risikoabschätzung bezieht sich keineswegs nur auf diesen Einzelfall. Sie zieht sich durchs ganze Rennen, sei es bei der Berücksichtigung der Bodenbedingungen, der klimatischen Situation, dem Verhalten der Mitreiter usw. . Erfahrene Reiter haben also genaue Vorstellungen von den Risiken. Sie sind viel weniger auf Glück angewiesen als unerfahrene Reiter.

3. Die Zeit vor dem Rennen

Viele Reiter unterschätzen die Zeit vor dem Rennen und schenken ihr wenig Aufmerksamkeit. Aber gerade der Ausdauersportler Distanzpferd braucht eine optimale Vorbereitung, um sein Optimum zu bringen. Für Kentucky war z.B. der Transport eine wichtige Größe, die wegen der Quarantänesituation keineswegs optimal war. Der erfahrene Distanzreiter macht dann aus den Möglichkeiten das Beste und bekommt sein Pferd trotzdem in einen guten Zustand. Gleiches gilt für Fütterung, Bewegung und Pflege des Pferdes. Auch hier spielt Erfahrung eine überragende Rolle. Denn wer schon mit seinem Pferd ein paar Jahre um die Welt geflogen ist, kann vieles besser einschätzen, als der Neuling.

4. Fehlervermeidung

Auch erfahrene Reiter machen Fehler, aber sie wissen die Zahl der Fehler zu begrenzen. Sie haben quasi schon alle Fehler einmal gemacht. Auch da hat jeder Neuling seinen Rückstand erst aufzuholen, so sehr er sich auch bemüht, aus den Fehlern der anderen zu lernen.

 

Geld, Zeit und Pferde

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass der Sprung in die Weltklasse sich primär auf die Faktoren Geld, Zeit und Pferdematerial reduziert. Diese Faktoren werden allzu oft als Entschuldigung benutzt. „Ich wäre ja viel besser, wenn ich mehr Geld, mehr Zeit und ein besseres Pferd hätte“, so die oft gehörte Argumentation.

Selbstverständlich ist Pferdesport ohne eine gewisse finanzielle Basis gar nicht ausübbar. Kentucky hätte sich weiß Gott auch nicht jeder leisten können. Aber es ist zu leicht, alles nur auf die finanzielle Basis zu reduzieren. Wenn dem so wäre, dann hätte Deutschland in Kentucky unter keinen Umständen mit Bahrain oder Qatar mithalten können. Und wenn man auf die finanzielle Basis einiger anderer Reiter aus Brasilien, Argentinien und Europa schaut, dann hätten sich die Deutschen schön brav hinten anschließen müssen.

Selbst die Erfolge der Scheichs lassen sich nicht nur auf den Faktor Geld reduzieren. Sicher, sie kauften Pferde und dazu gleich noch das Wissen erstklassiger Trainer. Aber selbst sie brauchten ein paar Jahre persönlicher Erfahrung bis sie vorne waren. Und selbst wenn sie Erfahrung in Form von Trainern einkaufen können, bestätigt das meine These: Erfahrung ist unverzichtbar, sogar der Schlüssel zum Spitzenergebnis.

Auch der Faktor Zeit wird überschätzt. Erfolgreiche Distanzreiter haben nicht automatisch mehr Zeit als andere Distanzreiter. Es ist primär eine Sache der Priorität. Die Zeit, die ein Distanzreiter in seinen Sport steckt, geht zu Lasten anderer Dinge. Er steckt z.B. seinen kompletten Jahresurlaub in den Sport, er unterzieht sich einer knallharten täglichen Disziplin und verzichtet auf vieles.

Eine komplett andere Situation zu anderen Reitern ergibt sich nur, wenn der Sprung zum Profi gewagt wird. Aber vor diesem Schritt habe ich eine gehörige Portion Respekt. Er ist nicht so leicht, wie sich das einige vorstellen.

Beliebte relativierende Äußerungen ergeben sich auch beim Gespräch über Pferde, gerne auch als Pferdematerial beschrieben. Da wird in dreierlei Richtung relativiert:

Solche Pferde kann ich mir nicht leisten.

Hätte ich ein solches Pferd, wäre ich auch vorne.

Die kaufen sich solange Pferde, bis ein gutes darunter ist, das kann ich mir nicht leisten.

Alle drei Argumente stimmen in der Mehrzahl der Fälle nicht.

Meines Wissens war keines der deutschen Pferde besonders teuer, ich würde sogar behaupten, dass sie eher ziemlich preiswert waren.

Hier widerspreche ich ebenfalls. Denn solche Pferde sind in der Regel keine Selbstläufer, also einfach drauf setzen und schon sind Plätze zwischen 1 und 10 sicher, das gibt es nicht. Diese Tiere wurden als Pferde mit Potenzial erkannt, systematisch aufgebaut und werden nun auf hohem Niveau gehalten. Ausschlaggebend auch hier ist das Zusammenspiel von Pferd und Reiter, das auf der Erfahrung des Reiters basiert.

Ja, manche Distanzreiter machen das so, aber viele eben auch nicht. Zum einen können sie sich das gar nicht leisten, zum anderen haben sie nicht die Zeit dazu und vermutlich auch gar keine Lust, so zu arbeiten. Bestes Beispiel ist hier Belinda. Ihr Shagar wurde von ihr selbst gezogen und sie hat meines Wissens nach auch alle ihre anderen Pferde über viele Jahre geritten. Aber auch Gabriela hat keine Eintagsfliegen in ihrer Vita. Egal ob Voltano, Zaim oder jetzt Priceless, sie alle zeigten über eine lange Zeit Konstanz auf hohem sportlichen Niveau. Ein Blick in die Statisktik zeigt schnell was Sache ist.

 

Aber was machen wir aus der Situation?

Auf der einen Seite ist die aktuelle Situation eigentlich grandios. Es gibt nur wenige Länder, die vier so starke ReiterInnen und Pferde haben. Der erstklassige Ritt von Petra Hattab lässt zudem auf Stabilisierung hoffen. Länder wie Spanien, Bahrain, Belgien und Qatar müssen sich schon sehr anstrengen, um an den Deutschen vorbeizukommen.

Auf der anderen Seite ist die Zahl der Reiter mit Erfahrung sehr begrenzt. Die letzte Qualifikation zur WEG zeigte eindrucksvoll, wie viele dieser Teams dann letztendlich übrig blieben. Es waren genau sechs Reiter. Auch wenn man noch das eine oder andere Team hinzuzählt, die vielleicht hätten teilnehmen können, wenn nicht dies und jenes anders gelaufen wäre, wenn Geld und/oder Zeit da gewesen wäre usw., dann bleiben trotzdem nicht viele Paare übrig, die realistisch um Medaillen kämpfen könnten.

Wir müssen akzeptieren, dass diese Erfahrungslücke nicht so einfach auszugleichen ist. Aber je schneller wir sie schließen, um so mehr zementieren wir die deutsche Position im Distanzsport.

Ruhen wir uns nicht auf dem momentan Erreichten aus.

 

WEG Lexington 2010, Foto: Marcus Kosel

WEG Lexington 2010, Foto: Marcus Kosel