Raid Kaliber – der schönste und längste Distanzritt der Welt

von Heike Blümel

Bereits zum 2. Mal machten wir uns Anfang April per Wohnmobil, VW-Campingbus, 2 Pferdehängern, 3 Pferden und 4 Frauen, auf nach Andalusien. Das Navi zeigte knappe 2500 km bis nach Sevilla, wo dieses Jahr der V Raid Kaliber, ein Distanzritt über 500 km in 8 Tagen, starten sollte.
In 34 Stunden Fahrtzeit hatten wir es geschafft, und  die Pferde konnten ihre Boxen auf der schönen Rennbahnanlage von ‚Dos Hermanas’ beziehen. Den Transport hatten unsere Vierbeiner gut überstanden, Annette hatte wieder für die Teamwertung, 1 Reiter, 2 Pferde, genannt, sie hatte Pepienika, genannt Nikl, die 10 jährige VA-Stute dabei, die sich letztes Jahr schon auf dem Ritt bewährt hatte, und als Zweitpferd die 10-jährige engl. Vollblutstute Wallice. Ich wollte mich wieder in der Einzelwertung – 1 Reiter, 1 Pferd – ganz auf meinen Traber Lens Amstrong verlassen. Lenny ist inzwischen 9 Jahre und ein ganz zuverlässiger, nervenstarker Kandidat auf Distanzritten. Als Crew waren Ina, Katrin und Christine dabei.
Durch die frühe Anreise, hatten die Pferde gut Zeit sich zu aklimatisieren, alle wurden geschoren, Lenny bekam sogar ein ‚GER’ auf den Hintern eingraviert. Wir verbrachten die Tage vor dem Rennen mit etwas Training auf der Rennbahn und natürlich sightseeing und shopping in Sevillia.
Nach und nach reiste auch die Konkurrenz an, darunter viele bekannte Gesichter aus Spanien, Italien, Frankreich, Luxemburg und der Schweiz. Das Wiedersehen war herzlich und alle freuten sich auf den Ritt, der landschaftlich diesmal wirklich ein einziges Highlight werden sollte.
Der Veranstalter, Jose Manuel Soto, legte uns bei der Vorbesprechung ans Herz, umsichtig zu reiten, es kommen harte 500 km auf uns zu, teilweise ist das Gelände sehr schwierig, da es Wochen zuvor in Spanien nur geregnet hatte, aber wir sollten uns trotzdem auf die landschaftlich schönsten Seiten Andalusiens freuen und geniessen. Ich hatte vor, diesen Rat zu befolgen, da es mir darauf ankam dieses Jahr die ganze Strecke reiten. Auch der Vorjahressieger Eduardo Sánchez Hidalgo, mit seinem inzwischen 16-jähr. Wallach Hermes, war schon da und so konnte Lenny Hermes schon mal in die Augen schauen ☺.

Am Freitag war dann Aufgalopp auf der großen Rennbahn, die insgesamt ca. 30 Teilnehmer präsentierten Ihre Pferde 2 Runden auf der Grasrennbahn. Die meisten Rassen sind Araber, Angloaraber, aber auch Warmblüter und Mix-Rassen, Lenny war der einzige Traber.

Samstag war es dann soweit, wir starteten auf die ersten 50 km nach El Rocio. Die Strecke dorthin war sehr schön, durch Olivenhaine, blühenden Orangenplantagen, dann durch riesige Pfützen, die den Pferden gleich zum Durst löschen dienten. Nach der Hälfte der Strecke gab es täglich ein Vetgate.
Hier werden die Pferde von den Tierärzten genau untersucht, der vorgeschriebene Puls von 64 muss erreicht werden, die Gurt- u. Sattellage, die Muskulatur und die Schleimhäute werden gecheckt, ebenso werden die Darmgeräusche überprüft, ob das Pferd genug gefressen und gesoffen hat. Zuletzt wird noch der Gang des Pferdes kontrolliert. Erst wenn alle Faktoren in Ordnung sind, darf man den Ritt fortsetzen. Wir durften, und so konnten wir unseren ersten Zieleinlauf in El Rocio feiern. Ganz viele Schaulustige waren gekommen, um die Pferde zu begrüßen, der Kaliber-Bierstand war auch schon geöffnet, und es gab eine Siegerehrung für die Etappensieger in der Einzel- und in der Teamwertung. Es herrschte Volksfeststimmung in El Rocio, alles lachte, erzählte und freute sich, auch wenn wir kein Wort verstanden, spanisch hatten wir nämlich immer noch nicht gelernt ☹ Lenny und auch Nikl hatten im Ziel bei der Nachuntersuchung gute Werte, die erste Hürde war also schon mal genommen. Wir versorgten die Pferde, die Boxen waren bereits von unserer Crew gerichtet und für uns war auch schon ein Buffet aufgebaut.

Direkt vor der schönen Walfahrtskirche von El Rocio startete die 2. Tagesetappe. Es ging durch den Donana Nationalpark, der Hin- und Rückweg war gleich, am Wendepunkt war wieder das Vetgate. Annette, diesmal mit Wallice beritten, und ich liesen es relativ schnell angehen, das Geläuf war flach, allerdings teils auch tief sandig. Wir trafen auf freilaufende Stiere, die vor uns die Flucht ergriffen und genossen dabei den flotten Ritt durch diese einmalige Natur. Wieder war bei der Nachuntersuchung alles mit den Pferden ok, und wir konnten schon mal Rittbesprechung mit unseren Trossern für Tag 3 machen. Da ging es nämlich an den Atlantik.

Aber zuerst mal war früh aufstehen angesagt. Start sollte um 7.oo Uhr sein, damit wir rechtzeitig, bevor die Flut kam, am Atlantik sind. Typisch deutsch, wir waren da, alle anderen Mitreiter nicht ☹. Aber das macht wohl auch den Flair von dem Ritt aus, es wird sicht nicht aufgeregt und rumgeschimpft, sondern brav gewartet bis alle da sind, und erst dann heißt es Start frei. Noch bei Dunkelheit reiten wir in der Spitzengruppe mit, ich immer die Nr. 35 (Eduardo) im Visier, wieder ist es sehr sandig, dann kommt endlich eine Piste, bestimmt 7 km lang, feinster Schotter, ein Geläuf wie wir es in Deutschland lieben. Annette und ich geben der Straße gleich einen Namen: Avenieda de Alemania. Nach 35 km sehen wir dann endlich das Meer, welch traumhafter Ausblick. Ein steiler Abstieg durch die Sanddünen noch, dann sind wir am Strand ‚Costa de la Luz’ angekommen. Das Vetgate ist diesmal genau am Strand von Matalascanas, Lenny und Wallice laufen immer noch locker, deshalb dürfen wir uns jetzt auf 30 km Sandstrand freuen. Durch den Wind und die doch schon hohe Flut, müssen wir teils durch tiefe Priele. Die Pferde kämpfen sich schwer durch den tiefen Sand und durchs Wasser und auch wir sind schon ziemlich müde. Dieses Jahr ist die Strandtour echt hart und scheint nie enden zu wollen, wir freuen uns richtig alle 5 km unsere Crew zu sehen, die mit extra Bussen an den Strand gefahren werden, hier gibt es Wasser für die Pferde.
Und dann sehen wir endlich das Ziel, Nachuntersuchung geschafft, jetzt geht es nur noch mit der Fähre nach Sanlucar de Barrameda, wo der Stall ist. Alle Pferde steigen bereitwillig ein und die Überfahrt klappt problemlos.
Bei der allabendlichen Vorbesprechung, diesmal in der Bodega La Gitana bei einem guten Cherry, erfahren wir, das wir morgen 90 km zum Startort transportieren müssen, und dann folgt eine Bergetappe von 60 km.

Es geht nach Ronda. Dank guten Roadbooks und auch guter Streckenmarkierung finden wir den Startplatz bei Cortijo Ventolera, und als alle da sind, geht es dann auch schon los. Die Strecke ist wieder sehr anspruchsvoll, es geht wirklich über Stock und Stein und als es scheint das ein unüberwindbarer Graben vor uns liegt, steht Soto mit einer selbstgebastelten Brücke da, und weißt uns mit den Pferden darüber, echt unglaublich. Alles geht gut, und so reiten wir auch am 4. Tag topfit in Ronda ein.

Auch am 5. Tag sind wieder unterwegs, es geht nach nach Antequera, auch Herz von Andalusien’ genannt. Diesmal sind es echt heftige Berge die wir überwinden müssen, wir passen uns ganz der Rittgeschwindigkeit von Wino (Nr.35) an, auch oftmals im Schritt, heute ist unsere Divise, ihn nur nicht aus den Augen verlieren.
Und es klappt tatsächlich, hier wörtlich der Eintag aus Ina’s Logbuch:
16:23 Uhr MEZ – das Unfassbare, sensationelle und absolut Unerwartete ist geschehen – Lenny hat die 5 Etappe gewonnen!! Ja tatsächlich, Hand in Hand bin ich mit meiner Nr. 35 ins Ziel geritten und er hat dafür gesorgt, das Lenny die Nasenspitze vorne hatte. Ich und unser ganzes Team waren total im Glück und Lenny war so klasse, das er bei der Nachuntersuchung auch noch ein ‚very good’ vom Tierarzt bekam.
Der Etappensieg wurde natürlich ausgiebig gefeiert, erst mit der ganzen Familie von Wino, dann bei der abendlichen Tappa-Party, leider wenig vegetarisch 🙁 Meine Medaille für den Tagessieg habe ich natürlich mit Deutschlandfahne entgegen genommen und Soto, der im richtigen Leben Sänger ist, sang die Deutschlandhymne.

Trotz ausgelassener Siegesfeier waren wir am nächsten Tag wieder pünktlich auf dem Pferd, das Rennen war ja noch nicht zu Ende. Heute war unser Tagesziel Granada, 65 km. Zum Glück relativ flach, dafür gab es diesmal Regen. Es wurde überlegt, bei Dauerregen, den Ritt im Vetgate zu beenden, diese Hoffnung wurde leider nicht erfüllt, da es rechtzeitig zum 2. Teil der Strecke wieder aufhörte. Lenny war ziemlich müde, zum Glück hatte Annette Wallice gesattelt und die Beiden zogen uns so noch die letzten 25 km ins Ziel. Landschaftlich war der Einritt fantastisch, Granada war schon von Weitem zu sehen und direkt die Berge der Sierra Nervada dahinter. Beide Pferde bestanden die Nachuntersuchung und konnten sich jetzt auf einen Pausentag freuen.

Diesen verbrachten wir mit Besichtigung der Al Hambra. Der Tag verging viel zu schnell, auch für Lenny, dem wir ein schönes Paddock auf der Wiese gebaut hatten.

Ihm hatte der Pausentag echt gut getan, mit neuem Elan ging es am 7. Tag wieder weiter nach Baza.
Für mich landschaftlich fast der schönste Tag, an steilen Felswänden entlang führte unsere Reitstrecke immer wieder durchs Wasser und dann richtig rauf bis auf 2000 m. Dort wurde es dann richtig kalt, Schneefeldreste waren noch zu sehen, und es gab Graupelschauer. Den Berg mussten wir natürlich auch wieder runter, die Temperaturen wurden besser, allerdings der Regen nicht weniger, so hatten wir diesmal einen Zieleinlauf bei strömendem Regen, aber Hauptsache mit gesunden Pferden.

Und dann kam auch schon die letzte Etappe, es ging 50 km nach Cazorla,  dem Endziel des V Raid Kalibers.
Annette mit Nikl wollte noch Plätze in der Teamwertung gut machen, und ritt deshalb etwas flotter. Wir waren mit Elsbeth Brunner aus der Schweiz unterwegs. Der heutige Tag entschied über unsere Platzierung, bisher lag ich auf dem 2. Platz, wenn auch nur mit 45 Sek. Vorsprung. Die Strecke war wieder sehr anspruchsvoll mit vielen Auf- und Abstiegen. Bis zum Vetgate waren wir in einer großen Gruppe unterwegs, und da passierte es, Lenny stolperte über einen großen Stein und fiel auf die Vorderfußwurzelgelenke, er konnte sich zum Glück gleich wieder aufrichten. Allerdings sah ich schon das Blut vorne rechts runter laufen, und ich dachte schon, das war’s jetzt. Aber Lenny schien der Sturz nichts ausgemacht zu haben, er trabte lahmfrei weiter, mir viel ein Stein vom Herzen. Nach dem bestandenen Vetgate ritt ich alleine mit Elsbeth weiter. Und dann sahen wir auch schon von hoch oben am Berg, das im Tal, mitten in Cazorla, aufgebaute ‚Meta’. Wir mussten noch einen richtigen Abstieg runter, dann über eine Asphaltbrücke mit scharfer Linkskurve in die Zielgerade. Ich kam kurz nach Elsbeth ins Ziel und dachte das reicht für die Sicherung meines 2. Platzes. Allerdings hatte ich nicht bedacht, das die Etappensieger jeweils Zeitgutschriften bekommen, für den ersten Platz gab es 10 Min, für den 2. Platz 5 Min. und für den 3. Platz noch 3 Minuten. Da Elsbeth als Zweite der Einzelreiter ins Ziel kam und somit 5 Min. Zeitgutschrift bekam, und ich nur als 3., rückte ich leider auch in der Gesamtwertung auf Platz 3. Die Freude über den 3. Platz war trotzdem riesig, es hatten lediglich 3 Pferde die ganze Strecke geschafft und mein Lenny war mit dabei, das hätte ich wirklich nie erwartet. Die Einzelwertung gewonnen, hatte natürlich Eduardo mit seinem Hermes.
Annette mit Ihren Pferden Nikl und Wallice kamen in der Teamwertung  auf Platz 4. Die feierliche Siegerehrung fand abends dann im Theater von Cazorla statt, und dann gab’ es natürlich noch eine Abschlussparty bis in die Morgenstunden.
Der V Raid Kaliber war geschafft, Soto, dem Veranstalter und seinem Team sei’ Dank, das sie diesen, für mich schönsten Distanzritt der Welt, jedes Jahr veranstalten.

Heike Blümel und Annette Nothhaft beim Raid de Kaliber 2010 in Spanien, Foto: Susanne Polzin

Heike Blümel und Annette Nothhaft beim Raid de Kaliber 2010 in Spanien,
Foto: Susanne Polzin