Interview: Ursula Kingbeil

Distanzreiten.com:
Zu erst einmal Gratulation! Du bist die neue Deutsche Meisterin im Distanzreiten mit Deinem Sieg in Dillingen. Mit 18 km/h und 10 Minuten Vorsprung warst Du sehr zügig unterwegs. In der 3. Runde hast Du die Führung vor Sybille übernommen und Deinen Vorsprung kontinuierlich weiter ausgebaut. Wie bist Du den Ritt angegangen? Hattest Du eine besondere Strategie oder eine besondere Einteilung?

Ursula:
18,35 km/h *lach – Ich wollte diesen Ritt von Anfang an gewinnen – bei der Teambesprechung 1 Woche vor der Cera Challenge habe ich meinem Team ziemlich genau diese Zielzeiten der einzelnen Runden genannt und mich letztendlich nur um 5 Minuten verschätzt. Natürlich gehört eine gehörige Portion Glück auch dazu und für so ein Rennen muss man den „Tag der Tage“ erwischen – der Freitag war einfach mein persönliches Sommermärchen.

Distanzreiten.com:
Wenn man Deine Erfolge anschaut, so ist der 1. Platz für Dich keine Seltenheit. Bis 2007 war Khalif Dein großes Erfolgspferd, im letzten Jahr lief es mit Taron und Tachlith sehr gut und nun hast Du Dir mit El Wa Ha Kimja den Titel geholt. Seit wann hast Du dieses Pferd?

Ursula:
Dieses Pferd habe ich in Beritt – es gehört einer Freundin von mir, deren Mann, der eigentliche Besitzer, letztes Jahr verstorben ist. Kimja ist genau seit 1 Jahr bei mir im Training.

Distanzreiten.com:
Wie viele Pferde benötigt man, um kontinuierlich an der Spitze mit zu reiten?

Ursula:
3 Pferde sollten es schon mindestens sein, ich habe derzeit 3 eigene Pferde und 3 Berittpferde in Training.
Distanzreiten.com:
Trainierst Du alle Deine Pferde alleine?

Ursula:
Nein –das würde ich nicht schaffen, ich muss ja noch Geld für dieses Hobby verdienen. Ich habe eine super Crew, die nicht nur auf den Ritten da ist, sondern auch zu Hause hilft. Wir haben einen strengen Trainingsplan, ich reite jedoch jedes Pferd mindestens einmal in der Woche selbst. Wird auf einen Höhepunkt wie die Deutsche Meisterschaft, oder ein Championat trainiert, wird dieses Pferd nur noch von mir geritten. Dann komme ich schon mal auf 2 – 3 Pferde / Tag, die ich selbst reite.

Distanzreiten.com:
Wie sieht Dein Training aus?

Ursula:
Sehr differenziert – v. a. viel Schrittarbeit, sie ist der Grundstock für die Ausdauer. Dann trainiere ich sog. „Joggingrunden“ – das sind Strecken zwischen 15 und 20 km nur im lockeren Trab – meine Pferde müssen 1x / Woche Dressur gehen und im Winter bekommen sie zwischen 4 und 8 Wochen intensivste Dressurausbildung in der Halle – ferner gibt’s sog. Mix – Runden – Galopp und Trab gemischt – das wechselt in den Tempi zwischen lockerer Mix und flotter Mix, und natürlich ab 1,5 bis 3 Stunden – Galopptraining für so einen Hundertmeiler ist unerlässlich, da gab es diesmal etwas mehr Einheiten, wir wollten ja schnell sein.

Distanzreiten.com:
Wie viel Erholungszeit gönnst Du Deinen Pferden nach einem Hundertmeiler, bis sie wieder an den Start gehen?

Ursula:
Bei mir gibt es die Fausregel : pro Stern eine Woche CEI* 1 Woche und CEI *** mindestens 3 Wochen – ja nach Tempo und Beanspruchung

Distanzreiten.com:
Was ist mit Taron oder Tachlith, warum warst Du nicht mit einen der 2 in Dillingen beim 160er dabei?

Ursula:
Taron wurde dieses Jahr eigentlich für Compiegne auftrainiert, aber durch die Ernennung zum Equipechef konnte ich nicht starten und für Rambouillet war es mir zu stressig, da ich ja schon 4 Tage als Equipechef in Compiegne war. Die DM hatte ich versprochen mit Kimja zu reiten . Daher hat Taron dieses Jahr einen späten Start – er soll in Kreuth und in Florac laufen.
Tachlith ist am Samstag gestartet bei dem CEI*. Er war letztes Jahr sehr sehr krank und beinahe schon tot. Daher bin ich sehr froh, dass sein Stoffwechsel dieses hohe Tempo von 20 km/h mitgemacht hatte und das bisschen Lahmheit im 2. Vetgate war mir eigentlich egal. Er ist auch ein klasse Pferd mit sehr viel Power und Grundtempo.

Distanzreiten.com:
Wie viele Jahre kann ein Spitzenpferd nach Deiner Meinung vorne mit laufen? Woran merkst Du, dass die „besten Jahre“ eines Deiner Pferde langsam vorüber ist?

Ursula:
Khalif ist mit mir 2500 Wettkampfkilometer in insgesamt 9 Jahren gelaufen. Taron läuft auch bereits seit 3 Jahren und ich hoffe, noch viele weitere. Bei solidem Aufbau können die Pferde meines Erachtens gut 5 Jahre oder mehr im Spitzensport laufen.
Meine Pferde habe ich einfach im Alter von 17 bis 18 Jahren aus dem Sport genommen – das heisst nicht, dass ich sie nicht zu Hause zum trainieren für die jungen Pferde brauche. Sowohl Haniro ( 23 J.) als auch Khalif (17 J.) laufen mehrmals pro Woche die Trainingseinheiten mit.

Distanzreiten.com:
Wie ist es mit Deinen Pferden? Baust Du kontinuierlich mehrere Pferde parallel auf?

Ursula:
Ja klar, aber meistens in unterschiedlichen Qualifikationsstufen. Parallel 2 Pferde auf einen zeitgleichen 100 Meiler vorzubereiten, ist fast nicht möglich.

Distanzreiten.com:
Was war der Unterschied in diesem Jahr im Vergleich zur Vergangenheit? Warum hat es diesmal mit dem Deutschen Meister Titel geklappt?
War es Zufall, kam Dir das Gelände entgegen oder lag es an Deinem Pferd?

Ursula:
Es muss der Tag der Tage sein – auch 2. Oder 3. Plazierter ist ja nicht weit vom Sieg entfernt. Natürlich kommt da alles zusammen – die Strecke war super, Kimja war auf den Punkt trainiert und wir hatten die gehörige Portion Glück, die beim Hochleistungssport immer dabei sein muss.

Distanzreiten.com:
Ich gehe richtig in der Annahme, dass Du Deine Top-Pferde zukaufst, oder sind sie selber rangezogen?

Ursula:
Nein zur Zucht habe ich nicht auch noch Zeit – ausserdem ist mir das Risiko zu hoch, was aus diesem Fohlen wohl wird und ob es ohne Verletzungen gross werden kann.

Distanzreiten.com:
Woran erkennst Du beim Pferdekauf, dass das Pferd Potential für großes Leistungen hat? Ist es Veranlagung der Pferde oder liegt es am Training?

Ursula:
Natürlich achte ich auf ein korrektes Gebäude etc, aber die Veranlagung ist gerade für schnelle Regenerationszeiten unerlässlich. Man kann keine Gesamtregeneration von 9 Minuten antrainieren. Training erreicht schon sehr viel, aber solche Ausnahmepferde müssen angeboren ein perfektes Herz-Kreislaufsystem haben. Ich trainiere gerade einen Hengst, dessen Puls ist im Ruhezustand ( zu Hause J ) unter 20 – da kann man sich vorstellen, dass er auch bei Anstrengung geniale Pulswerte hat.

Distanzreiten.com:
Verwendest Du Führanlagen etc. zum Training?

Ursula:
Ich besitze seit 3 Jahren eine Führanlage (übrigens von BestEquine – Belinda und Stefan) und bin schon sehr froh daran. Es erleichtert die Schrittarbeit enorm und auch in Regenerationszeiten verlieren die Pferde kaum an Kondition.

Distanzreiten.com:
Was sind Deine nächsten Ziele, jetzt, wo Du den Titel gewonnen hast?

Ursula:
Natürlich ist das nächste Ziel mit der Deutschen Mannschaft in Kentucky eine Medaille zu gewinnen. Ich werde sie als Equipechef begleiten, da ich Taron diesen Flug mit seinen 9 Jahren noch nicht zumuten wollte. Reiterlich stehen zwei Hengstleistungsprüfungen an und natürlich Taron, er soll dieses Jahr in Florac den PreRide für die EM in Florac laufen.

Distanzreiten.com:
Man kennt Dich in Deiner Lieblingsfarbe orange, in Dillingen warst Du farblich kaum wieder zu erkennen.

Ursula:
*Lach sorry – meine orangenen T-Shirts sind nur Baumwolle und für die Ritte ist ein Funktions-T-Shirt bei solchem Wetter einfach angenehmer. Dafür hats doch in meiner Crew deutlich „orangt“

Distanzreiten.com:
Ich hörte die Tierärzte sagen, dass Du ein gutes Gespür für den Zustand Deines Pferdes hast und den Ritt wirklich sehr souverän im Einklang mit dem Pferd geritten bist. Liegt es daran, dass Du selbst Tierärztin bist?

Ursula:
Ich glaube nicht, dass es etwas mit Veterinärmedizin zu tun hat. Ich reite sehr viel mit Gefühl und gehe auf die Pferde ein. Ich sitze seit meinem 6. Lebensjahr auf Pferden, hatte schon viele Pferde-Sportarten wettkampfmässig bestritten und bin beim Distanzreiten hängen geblieben. Ich horche während eines Rittes immer auf mein Pferd, daher reite ich auch liebe alleine oder spreche auch nicht viel. Ich versuche zu erfühlen, wie er sich fühlt und was er noch zu geben bereit ist. Sehr viel für das Verständnis der 100 Meiler Pferde hat mir auch die Selbsterfahrung des Marathons Laufens gebracht. Dieses ans Limit gehen, muss man kennen. Man muss wissen, dass sogar der kleinste Stein nach 41 km Marathon einen zu Fall bringen kann und dass der „Mann mit dem Hammer“ immer irgendwann um die 33 km kommt. Das habe ich auf meine Pferde umgesetzt. Ich achte sehr sorgfältig auf die Bodenverhältnisse und versuche es ihnen auch so leicht wie möglich zu machen, z.B. sehr schnell auch auf dem Wettkampf gebisslos zu reiten.

Distanzreiten.com:
Nach einem 100-Meiler, könnte ich mir vorstellen, besteigt man normalerweise erstmal 1 Woche kein Pferd mehr. Du hingegen hast am Folgetag bereits wieder einen 90er in Angriff genommen. Wie war Deine Verfassung?

Ursula:
Na super – zuerst dachte ich schon naja – da zwickst und zwackst, aber nach den ersten 5 km war alles vergessen.

Distanzreiten.com:
Der 90er hat nicht so gut geklappt, wie der Ritt am Vortag, was war der Grund dafür?

Ursula:
Keine Ahnung, er hat ein bisschen getickert und da ich ja eh nur sehen wollte, wie er nach dem letzten kranken Jahr diese Aufregung und Anstrengung verkraftet, habe ich auch sogar auf den Dreierentscheid verzichtet. Ich war sehr glücklich, dass Tachlith diese 55 km souverän gelaufen ist, da fällt so ein bissl Lahmheit nicht ins Gewicht.

Distanzreiten.com:
Wie siehst Du den Leistungsstand der Deutschen Spitzenreiter im Vergleich zum Ausland?

Ursula:
Ich glaube, dass wir gar nicht mehr so weit von der Weltspitze weg sind. Es hat Gott sei Dank in Deutschland ein Umdenkprozess eingesetzt. Wir haben gute Pferde und wir beherrschen die Kombination „Schnelles Reiten mit Vernunft“ sehr gut.

Distanzreiten.com:
Was sollte getan werden, um den Spitzensport zu fördern?

Ursula:
Zunächst sollten dringend Sponsoren gesucht werden. Es kann doch nicht angehen, dass ein deutscher Reiter für Deutschland startet und dazu auch noch sehr viel eigenes Geld in die Hand nehmen muss. Dann denke ich, sollte auch bei den Züchtern angesetzt werden. Guten Reitern sollte wie im Springsport ein Pool von guten Pferden zur Verfügung stehen. Das wäre superklasse.

Distanzreiten.com:
Nach unserer Meinung gibt es in dem Sport ein Nachwuchsproblem. Sollte man nicht sich nicht verstärkt dafür einsetzen, die Jugend für den Distanzsport zu begeistern und den Sport insgesamt bekannter zu machen? Was könnte man machen?

Ursula:
Die Jugend zu begeisten ist sehr wichtig – da müsste wesentlich mehr Pressearbeit getan werden. Wer kennt denn schon unter den Pferdeleuten unseren Sport? Ich stosse immer wieder auf „Distanzreiten? Was ist das denn?!“ Und hinter den Jugendlichen stehen die Eltern, die das Kind unterstützen und auch finanziell sehr viel leisten müssen. Auch die sollten sehen, dass sie nicht immer nur hinter irgendwelchen Kuhweiden versteckt werden, sondern z.B. so wie bei Belinda – auf dem Volksfestplatz mitten im Ort sind. Klar müssen dann Abstriche an die Strecke gemacht werden, aber das sind sie meiner Meinung nach wirklich wert.

Distanzreiten.com:
Wenn ich mir Deine Pferde anschaue, dann hast Du einen fröhlichen Rassemix, der Araber ist nicht so stark bei Dir vertreten, warum?

Ursula:
Nein das täuscht – angefangen habe ich natürlich mit einem Trakehner, der blieb mir noch aus meiner Zeit als Jagdreiterin. Dann hatte ich eine Phase der russischen Pferde, aber mittlerweile stehen in meinem Stall bis auf die Veteranen nur noch Araber. An dieser Pferderasse kommt in unserem Sport ab bestimmten Geschwindigkeiten einfach keiner mehr vorbei.

 

2010-07_ursulaklingbeil