Hautfaltentest und Darmgeräusche

Der Hautfaltentest (I) und die Darmgeräusche (II) sind wichtige metabolische Parameter und geben wichtige Hinweise auf den konditionellen Zustand und den Stress eines Pferdes. Sie zeigen, wie es um den Flüssigkeitshaushalt und die Verdauung bestellt ist. Zitat von J.Mallison: „A lame horse will die somehow and somewhere, metabolic problems kill the horse now and suddenly!” Das heißt, METABOLISCHE PROBLEME KÖNNEN LEBENSBEDROHLICH SEIN!

 

von Melanie Viell und Martin Grell

 

Notation für I. und II.

In der Spalte für den Hautfaltentest finden wir eine nummerische Notation, die sich an die Zeit in Sekunden anlehnt. Der Tierarzt notiert eine „1“ für normal und unauffällig, eine „2“ für etwas verzögert und eine „3“ oder mehr, für deutlich zu lang. Letzteres ist stark bedenklich und bedeutet die Elimination vom Ritt. In der Spalte für die Darmgeräusche finden wir eine Buchstabennotation. Mit deren Hilfe bezeichnet der Tierarzt einen normalen und unauffälligen Zustand mit „A“, einen veränderten und zu beobachtenden Zustand mit „B“ und einen stark besorgniserregenden Zustand mit „C“. Letzterer ist ein Ausschlusskriterium und bedeutet für Reiter und Pferd ebenfalls das Ende des Rittes, weil es gleichbedeutend mit dem Beginn einer Kolik sein kann.

I. Der Hautfaltentest 

wird am Hals, an der Schulter oder neu, nach M. Grell, am Oberlid des Pferdes durchgeführt. An der Teststelle sollte eine normale Hautspannung vorherrschen, der Hals also nicht zur Person hingebogen sein und dadurch die Haut ohnehin schon in Falten liegen. Diese Normalspannung ist an der Schulter eigentlich automatisch gegeben.

 

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Mit Daumen und Zeigefinger wird die Haut umfasst und eine Falte vom Körper weg gezogen. Enthält das Gewebe genügend Flüssigkeit und dadurch genügend Spannung, glättet sich die Falte innerhalb einer Sekunde wieder. Dauert es etwas länger, so kann man von einem Flüssigkeitsbedarf des Pferdes ausgehen und der Tierarzt wird den Reiter anhalten, sein Pferd entsprechend mit Wasser zu versorgen und zum Trinken zu animieren. Zieht sich die Falte auch nach deutlich mehr als zwei Sekunden nicht mehr glatt, so ist von einem erheblichen Flüssigkeitsmangel auszugehen. Der Ritt ist dann abzubrechen und der Tierarzt wird ggf. weitere Maßnahmen ergreifen.

 

hautfalten

 

II. Die Auskultation des Abdomens, 

also das Abhören der Darmgeräusche geschieht mit Hilfe eines Stethoskops. Sie gibt Aufschluss über die Qualität und Quantität der Peristaltik, wenn sie über alle vier Bauchquadranten ausreichend lange durchgeführt wird. Es ist eine eher unauffällige, aber doch umfangreiche und nicht ganz einfache Untersuchung. Anatomisch gesehen erstreckt sich der Verdauungsapparat über den gesamten Bauchraum des Pferdes. Er lässt sich grob in Magen, Dünndarm und Dickdarm  einteilen. Der Magen liegt in etwa mittig im Pferd und lässt sich auskultatorisch nicht untersuchen. Der Dünndarm, welcher sich in Zwölffingerdarm (Duodenum „c“), Leerdarm (Jejunum „d“) und Hüftdarm (Ileum „e“) unterteilt, sowie der Dickdarm mit seinen Abschnitten Blinddarm (Cecum „f“), Grimmdarm (Colon „g“ bis „p“), Mastdarm (Rectum „q“) und After erzeugen verschiedenste Geräusche, die an verschiedenen Stellen hörbar sind.

Lage der Verdauungsorgane von oben

Lage der Verdauungsorgane von oben

 

Zeichnung modifiziert und vereinfacht aus Praxisorientierte Anatomie des Pferdes, Verlag M. & H. Schaper 1998

Rote Pfeile: 
Weg des Nahrungsbreies vom Magen bis zum After.

Grün beschriftet sind knöcherne Strukturen: 
A = Hüfthöcker; B = Sitzbeinhöcker; C = 18. Rippe

Blau beschriftet sind Magen und Dünndarm: 
a = Magen; c = Duodenum; d = Jejunum; e = Ileum

Schwarz beschriftet ist der Dickdarm: 
f = Cecum; Colon: g = rechte ventrale Längslage,
i = linke ventrale Längslage,  l = linke dorsale Längslage,
n = rechte dorsale Längslage, o = Colon transversum,
p = Colon descendens; q = Rectum

 


Die genannten vier Quadranten sind: linke Seite oben, linke Seite unten, rechte Seite oben und rechte Seite unten. Zu diesen gehören charakteristische Organabschnitte mit ihren jeweiligen Geräuschen, die wir in einem Kreuz darstellen können:

 


Links dorsal: 

Dünndarm (d) sowie kleines Kolon (p) klingen hauptsächlich glucksend und knurrend. Bei Verkrampfung klingen die Geräusche wie das Zupfen einer Darmsaite und reißen oft abrupt ab.

 


Links ventral:

Die linken unteren Kolonlagen klingen brummend, knurrend, fließend oder zischend. Bei Darmverschluss treten anfangs vermehrte Geräusche auf, die aber zunehmend verschwinden.

 

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Rechts dorsal:

Auf, oder hinter dem Rippenbogen (C) klingt das Einspritzgeräusch des Ileum (e) in das Cecum (f) plätschernd und nur ein- bis dreimal pro Minute. Ist der Blinddarmkopf gasgefüllt, dann klingt es glucksend bis fauchend, bei Verstopfung des Ileum ist es verschwunden.

 


Rechts ventral:

Rechte Kolonlagen siehe links. Zur Verdeutlichung der „Horchstellen“ zeigen die Bilder Martin Grell beim „Synchronhören“

 

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Klinikveterinäre notieren für die einzelnen Quadranten ein „+++“ für vermehrte Geräusche ein „+“ für verminderte Geräusche und ein „–“, wenn diese gänzlich verschwunden sind. Für die Eintragung auf der Checkkarte werden die vier einzeln abgehörten Stellen zu einer Gesamtbewertung zusammengefasst und es wird lediglich ein A, B oder C eingetragen, manchmal mit einem zusätzlichen Hinweis auf die festgestellte Veränderung.

 

Erläuterung zu I. und II.

Über das vegetative Nervensystem besteht ein direkter Zusammenhang von physiologischer Leistung und Darmtätigkeit. Der Sympathikus, welcher für die Erhöhung von Herztätigkeit, Blutdruck, Stoffwechsel sowie Durchblutung und Tonus der Skelettmuskulatur zuständig ist, beeinflusst in gleichem Maße einen anderen Teil des vegetativen Nervensystems, das enterische Nervensystem. Dieses ist das für den Magen-Darm-Bereich zuständige Nervensystem. Es reagiert empfindlich negativ auf alle stress-auslösenden Faktoren und verursacht entsprechende Reaktionen im Verdauungstrakt. Stellt der Tierarzt also Anzeichen solcher Reaktionen fest, so wird er passende, Stress lindernde Maßnahmen empfehlen. Dies können z.B. sein: Verminderung des Tempos, Gabe von Raufutter (Heu), Zuführung von Flüssigkeit (tränken, grasen lassen), Ruhe oder leichte Bewegung, Eindeckung und/oder Massage, etc., eben alle angezeigten Maßnahmen, die die Darmtätigkeit wieder normalisieren und eine Kolik verhindern helfen. Ist diese zu erwarten, ist der Ritt für Reiter und Pferd zu Ende.

Besitzt man ein Stethoskop, etwas Geschick und übt fleißig, so kann man auch zu Hause während und nach dem Training selber den Darm abhören. Nach einiger Zeit wird man dann einen Erfahrungsschatz angehäuft haben, der es einem ermöglicht, das Wohlbefinden und den Stresspegel seines Pferdes jederzeit beurteilen zu können. Das enterische Nervensystem arbeitet schnell, die innervierten Organe etwas langsamer, aber immer noch recht zeitnah und mit sich summierendem Effekt. Je länger also der belastende Zustand besteht, desto deutlicher werden die Auswirkungen im Darm zu hören sein.