Wer ist eigentlich Christina Gerloff? Vielen von Euch ist sie sicherlich bekannt, spätestens nach ihrem erfolgreichen Debüt bei den Weltmeisterschaften in Euston Park. Doch um eine Idee von dem Menschen, der dahinter steht, zu bekommen reicht das bei Weitem nicht aus. Daher haben wir einmal nachgefragt. Ein Blick auf die Webseite des Windperdehofes lässt eine erste Einschätzung zu: vielseitig.
Bereits mit acht Jahren beginnt Christina ihre „Reiterkarriere“, damals noch in Hamburg lernt sie von einem einige Jahre älteren Mädchen auf einem Pony reiten. „Das Pony war für sie zu klein geworden, daher gab sie mir Unterricht auf ihm“, so Christina. Schnell erkennen auch ihre Eltern die Leidenschaft für Pferde und sehen sich nach einem Reitverein um, den Christina gut mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Richtiger Reitunterricht musste her und so wird die erste Zehnerkarte gekauft, der viele weitere folgen.
Mit 13 dann der nächste Schritt: ein eigenes Pflegepferd. Doch die Freude hält nicht lange. Ein knappes Jahr nachdem sie das Pflegepferd bekommen hat, hätte ein Reitunfall beinahe das Aus für ihre reiterliche Laufbahn bedeutet. Ihr Pflegepferd reißt sich beim Spazierengehen los und tritt sie aus Versehen, dabei erleidet sie schwere innere Verletzungen und hört mit dem Reitsport auf. Christina widmet sich der Leichtathletik und macht mit bei „Jugend trainiert für Olympia“. Mit Pferden will sie nichts mehr zu tun haben und hat sogar Angst. Weit weg sind alle Träume vom eigenen Pferd.
Zumindest bis zu dem Tag, an dem sie eine Freundin vom Reiterhof abholt. Ein knappes Dreivierteljahr ist seit dem Unfall vergangen, Pferde gehören nicht mehr zu ihrem Alltag, doch auf diesem Hof holt sie ihre Vergangenheit ein.
„Die Leute dort waren gerade dabei, die Shetlandponies von der Weide zu holen“, erinnert sich Christina „und baten mich, ihnen doch schnell zu helfen.“ Kalter Schweiß bildet sich auf ihrer Haut, ihr Herz rast. Der Unfall ist plötzlich wieder präsent. Doch Christina überwindet sich und nimmt den Strick in die Hand. Danach ist alles anders. Sie erkennt: Pferde gehören zu meinem Leben und sind nichts, wovor man Angst haben muss.
Sie beginnt wieder im Reitverein Unterricht zu nehmen und ist fortan zweimal die Woche zum Reiten dort. Fünf Jahre später erfüllt sie sich mit dem 7-jährigen Arabermix Condor einen Kindheitstraum. Zahlreiche Abzeichen folgen: 1988 der Reiterpass auf der Gläserkoppel in Schleswig-Holstein, 1989 das Deutsche Reitabzeichen 3 in Bronze, 1999 der Reitwart (Trainer C), 2001 das Longierabzeichen 3, 2002 der Trainer C in Voltigieren, 2004 der Lehrgang zur Ausbilderin im Behindertenreitsport und 2009 der Trainer B Distanzreiten, um nur einige zu nennen.
Doch genug von den klassischen Abzeichen, wie geht es mit Distanzsport weiter?
Mit Condor beginnt Christina für Distanzritte zu trainieren. Nach einem Einführungslehrgang bei Sian Griffith nimmt sie einige Zeit später beim Clan Mac Moor Distanztritt über 25 Kilometer teil. Sie hat sofort „Blut geleckt“ und verfällt dem „Distanzvirus“. Noch im gleichen Jahr tritt sie dem Verein Deutscher Distanzreiter und -fahrer e.V. (VDD) bei und ist seitdem ununterbrochen Mitglied. Sie steigert die Streckenlänge von Condor von Ritt zu Ritt, bis sie in 2001 ihren allerersten Hundertmeiler reitet: die Heidedistanz. Gemeinsam mit Uta Wilhelmi und Ina Borgwardt bestreitet sie diesen legendären Hundertmeiler und wird auf Anhieb Zweite – gemeinsam mit Ina und Uta.
Danach beginnt sie neben ihrem eigenen Pferd auch die Pferde von Sigfried Pauli aus Fischerhude zu reiten und lernt ihre große Liebe kennen: Jan Oetjen.
Standesgemäß lernen sich die beiden Distanzreiter – natürlich – auf einem Distanzritt kennen. Wenn jetzt die geographiekundigen unter uns die Wohnorte nachschlagen und raten wollen, auf welchem Distanzritt sich die beiden kennenlernen: Jan wohnte damals in Bassum, Christina in Hamburg. Was kommt da in Frage? Die Peerhofdistanz von Marit Haase, ein Distanzritt auf der Silbersterndistanz, vielleicht sogar der Distanzritt in Fischerhude. Doch alles völlig falsch. Die beiden Nordlichter mussten erst weit in den Süden, auf den internationalen Distanzritt in Kreuth fahren, um sich kennen und lieben zu lernen.
Zwecks Training beschließt Christina einige Zeit später den schwarzen Vollblutaraberhengst Galileo ihn ihre Nähe zu holen, muss jedoch feststellen, einen Hengst unterzubringen, ist gar nicht so einfach. Fündig wird sie am Ende auf einem wunderschönen Hof in Pestinghausen. Doch die Hofbesitzerin teilt ihr schnell mit, dass sie den Hof eigentlich lieber verkaufen würde, statt neue Einsteller aufzunehmen. Jan und Christina schauen sich den Hof an, beraten sich darüber und kaufen ihn schließlich. Jetzt muss nur noch ein Name her! Etwas, das zum Hof passt, soll es sein, doch was? Landschaftlich umgibt den Hof „normales“ Norddeutsches Flachland, keine Tannen und keine Berge, aber Wind und immer Pferde. Warum also den Hof nicht „Windpferdehof“ nennen? So wird es beschlossen und der Windpferdehof geboren. Danach zieht die gebürtige Hamburgerin, die vorher ihr Geld halbtags in einem Krankenhaus in Hamburg verdient und nebenbei noch therapeutisches Reiten angeboten hatte, nach Pestinghausen in die Nähe von Bremen.
2002 kommt Anton, das erste ihrer vier Kinder zur Welt, 2004 folgt Johannes und 2011 die Zwillinge: Henrik und Leonhard. Währenddessen reitet das Paar erfolgreich nationale und internationale Distanzritte. Insgesamt 6 Hundertmeiler kann Christina bis heute in der Wertung vorweisen, vier internationale in Frankreich, Tschechien, England und Deutschland sowie national zweimal die Heidedistanz mit Condor und Lucille. 2010 ist Christina erstmalig für ein Championat gesetzt: Die Weltreiterspiele in Kentucky. Doch das Paar entscheidet sich gegen einen Start, „ich hatte Angst, die Zwillinge zu verlieren“ und trainiert für die Weltmeisterschaften in Euston Park. „Florac war für uns keine Option, zum Einen unterscheidet sich das Geläuf sehr von Ma Donas Trainingsgelände und zum Anderen musste ich erst einmal selbst wieder fit werden. Es ist ein großer Unterschied, ob man das erste Kind bekommen hat oder schon das Vierte. Dazu kommt, dass die körperliche Belastung bei Zwillingen natürlich nochmal eine ganz andere ist“, erklärt sie mit Blick auf Maria Ponton Alvarez, die nur vier Wochen nach der Geburt das Championat in Kentucky gewonnen hatte.
Nach der Geburt steht daher erst einmal joggen und schwimmen auf dem Tagesplan. „Ich hätte sogar Lust gehabt, bei einem Triathlon mitzumachen, aber alles geht nicht“, erklärt Christina und konzentriert sich wieder auf das Reiten. Ihr Nachwuchspferd Panino bereitet sie auf die großen internationalen Langstrecken vor und Ma Dona für die Weltmeisterschaften. Fünfmal die Woche wird jedes Pferd bewegt, entweder als Handpferd, beim Galopptraining auf der Rennbahn in Bremen Mahndorf oder bei einem gemütlichen Ausritt. Unabhängig davon, was auf dem Trainingsplan steht, ist Christina ein rittiges Pferd besonders wichtig, daher nimmt sie regelmäßig Dressur- oder Springunterricht. Doch dabei ist ihr Abwechslung für ihre eigene Fitness ebenso wichtig wie für Ma Dona. Sie bemüht sich daher, einmal die Woche zu Pilates zu gehen und regelmäßig zu schwimmen, um den Rücken zu stärken.
Ma Dona wird nach dem Trainingsplan vom Bundestrainer Jean-Louis Leclerc trainiert. Es gilt daher, diesen Plan an den Alltag anzupassen. Zwei Freundinnen helfen bei der Kinderbetreuung. So kommt eine der zwei immer mittags und passt während des Trainings auf die Vier auf, die in der Zeit Mittagsschlaf halten können. Im Gegenzug bereitet Christina ihr Mittagessen vor, sodass sie nicht selbst kochen muss. An Tagen, an denen dies nicht möglich ist, nimmt Christina das Babyfon mit auf das Pferd. Da der Reitplatz direkt am Haus ist, ist es relativ einfach währenddessen die Kleinen schlafen z.B. Dressurarbeit zu machen oder – da die maximale Reichweite des mit einem Walkie-Talkie gekoppelten Babyfons 4 Kilometer beträgt – eine kleine Runde ins Gelände zu gehen. An anderen Tagen nimmt Jan Ma Dona mit auf seine Joggingrunde oder die ganze Familie geht gemeinsam spazieren. Meist gehen Jan und Christina zu Fuß vorneweg, während der Nachwuchs „hoch zu Roß“ folgt. Alle Vier haben bisweilen ein Faible für Pferde und einige von ihnen voltigieren bereits mit Begeisterung. Einen Sport, den Christina nie gemacht hat, aber dennoch spannend findet und ihre Kinder unterstützt – für nächstes Jahr ist die Teilnahme an einem Voltigierlehrgang geplant.
Neben all dem Training und Familienalltag kommen einmal pro Woche das Kinderhospitz und der Kindergarten auf den Hof. Immer donnerstags ist Therapie- und Kindergartentag, dafür setzt Christina gerne Ma Dona ein, denn „sie lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen und die meisten können sich gar nicht vorstellen, dass Ma Dona ein Rennpferd ist“, so Christina. Zusätzlich gibt sie einmal die Woche normalen Reitunterricht.
Doch was ist das Erfolgsrezept hinter dem Erfolg? Es scheint eine Kombination aus einem gesunden und lauffreudigen Pferd und dem starken Willen seiner Reiterin zu sein, was ein Pferd dazu bringt, die langen Strecken zu laufen. Für nächstes Jahr steht das Ziel auch schon fest: Christina möchte auf den Europameisterschaften im tschechischen Most starten und dort möglichst eine Mannschaftsmedaille mit nach Hause nehmen. Doch auch andere Ziele stehen auf ihrer Wunschliste. So steht neben der Teilnahme bei den Weltreiterspielen in der Normandie 2014 auch die Absolvierung des Kutschabzeichens oder die Teilnahme an einem Chironspringkurs auf dem Plan. Neben den ganzen Verpflichtungen findet sie trotzdem noch Zeit die Windpferdedistanz sowie die „ein oder andere“ Breitensportveranstaltung zu organisieren. Damit runden sie das große Spektrum ab und der erste Eindruck von Christina Gerloff wird bestätigt: Christina Gerloff ist vielseitig.
Text: Victoria Oldenburg