Distanzreiter – Wir sind ein Volk

von Silke Behling

 

Wir sind ein Volk. Sind wir das wirklich? Wer ist „wir“? Wer ist denn eigentlich der typische Distanzreiter?

 

Feuerkreisritte: Gemütlichkeit am Lagerfeuer bei der  Grastälerpassage 2010, Foto: Christian Lüke

Feuerkreisritte: Gemütlichkeit am Lagerfeuer bei der
Grastälerpassage 2010, Foto: Christian Lüke

 

Irgendwas ist anders

Distanzreiter sind anders, „die sind so bunt“. Außerdem „rasen die alle durch den Wald“. So oder so ähnlich werden Distanzreiter in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Abgesehen davon, dass dieses Bild irgendwie wenig schmeichelhaft ist, sind wir doch gar nicht so, oder? Aber wie sind wir? Gibt es überhaupt ein „wir“?

Da ich die Halle eines kleinen örtlichen Reitvereins mitnutzen darf, weiß ich, dass zumindest ich bunter bin als die meisten anderen Reiter dort. Aber es steht nun mal nicht jeder Distanzreiter auf rot und orange. Wenn ich mich auf Wettkämpfen so umgucke, dann sehe ich doch zahlreiche Reiter mit braunen oder schwarzen Trensen, nicht jedes Pferd trägt Farbe, und auch die Reiter sind oft „ganz normal“ gekleidet. Nein, die bunten Farben können nicht unser gemeinsames Merkmal sein.

Aber eines haben wir ganz sicher gemeinsam: das Pferd. Also nicht, dass wir eines haben, sondern was für eins. Oder nicht? Ich habe natürlich einen Araber, einen Vollblutaraber. Den hat man doch als Distanzreiter. Na gut, mein Nachwuchspferd ist „nur“ ein Partbred und der dritte, der Rentner, ist ein Traber. Also vielleicht doch ein wenig Rassevielfalt? Ein Blick in die Starterlisten hilft: Distanzreiter starten mit allen möglichen Pferden: vom Araber bis zum Welsh Cob ist alles dabei! Natürlich dominieren auf den großen Ritten die arabischen Pferde, aber der Araber-Schimmel ist wohl doch kein absolutes Merkmal. Dann eint uns das also auch nicht zwingend.

Vielleicht sind es die Ritte, die wir gemeinsam haben? Stundenlang mit dem Pferd unterwegs und so … Aber die Starterlisten, die ich gerade noch in der Hand hatte, zeigen eine bunte Vielfalt: Eintagesritte, Mehrtagesritten, lange Strecken, kurze Strecken, sogar Fahrten gibt es. Und dann gibt es da noch Ritte von unterschiedlichen Veranstaltern: von Privatmenschen, über die Endurance Academy zum Feuerkreisritt. Mir schwant, statt einem Volk habe ich viele kleine Völker gefunden!

 

Viele Distanzler sind bunt – aber nicht alle! Belinda Hitzler in Lexington, Foto: Helga Hörmann

Viele Distanzler sind bunt – aber nicht alle! Belinda Hitzler in Lexington, Foto: Helga Hörmann

 

Viele kleine Völker oder ein Volk?

Hannes Dörr, Distanz-Urgestein, 100-Meiler-Reiter und Veranstalter aus der Lüneburger Heide hat den gleichen Eindruck: „Ich sehe sogar extrem verschiedene Gruppen und zwar die international und national erfolgsorientierten Sportreiter, die Kilometerfresser besonders auf Mehrtagesritten, Feuerkreisreiter (Schnittmenge zu vorher, ansonsten immer etwas anders als andere), Langstreckenreiter mit dem Ziel Ankommen, Gelegenheits-Kurzstreckenreiter und Anfänger. Abstufungen dazwischen gibt es so viele wie Reiter. Alles sind eigentlich Freizeitreiter, professionelle Reiter haben wir in Deutschland so gut wie nicht.“

Stefanie Prasch, VDD-Präsidiums-Mitglied und selbst Langstreckenreiterin und Feuerkreis e.V.-Mitglied, sieht neben diesen Unterschieden eher die Gemeinsamkeit: „Wir sind eine große Gruppe, die dasselbe will: Gemeinsam mit dem Partner Pferd eine Strecke bewältigen. Egal, ob es um den ersten EFR geht oder einen internationalen Hundertmeiler. Egal, ob man lieber einen markierten Ritt mit zentralem Vet-Gate oder einen Kartenritt von A nach B reitet. Innerhalb dieses Ziels gibt es dann eben unterschiedliche Fokussierungen, die mit der eigenen Einstellung oder aber auch einfach mit den Möglichkeiten des Pferdes, dem Trainingsstand, der Tagesform zusammenhängen. So gibt es genug Reiter, die international erfolgreich sind und trotzdem auch auf einem Kartenritt anzutreffen sind.“ Sind wir also doch ein Volk? Aber es gibt doch unterschiedliche Gruppen, die sich sogar zu Vereinen zusammengeschlossen haben?

 

Distanzurgestein Hannes Dörr: Wir sind eigentlich Freizeitreiter. Foto: Nadin Marnitz

Distanzurgestein Hannes Dörr: Wir sind eigentlich Freizeitreiter. Foto: Nadin Marnitz

 

Einige sind anders?

Da wäre die Gruppe der Feuerkreisreiter. Das ist doch sicher eine ganz eigene, komische Truppe? Als ich vor vielen Jahren angefangen habe, Distanzen zu reiten, da hat man mir zumindest erzählt, das seien so „Alternative, die die ganze Nacht am Lagerfeuer sitzen“ und „total schnell reiten“, „total wild und nur querfeldein“. Was ist da jetzt Wahres dran?

Es stimmt, bei Feuerkreisritten wird oft gemütlich zusammen am Lagerfeuer gesessen, gemeinsam gegessen und getrunken, und das natürlich so lange, wie jeder mag. Damit gehören die Feuerkreisritte für mich zu den wirklich angenehmen, sehr gemeinschaftlichen Ritten, bei denen nicht jeder alleine vor seinem Paddock hockt – das ist wohl eher das Gegenteil einer eingeschworenen, abgegrenzten Truppe. Stefanie Prasch, die selbst schon einen Feuerkreisritt veranstaltet hat, sieht das ebenso: „Auf Feuerkreisritten geht es meist familiär zu, die Starterfelder sind übersichtlich, oft auch durch die Start- und Pausenplätze zwingend eingeschränkt. Am Abend gibt es fast immer ein Lagerfeuer. Das sind schon besondere Erlebnisse, wenn hinter einem die Pferde zufrieden malmend im Paddock stehen und man selbst in ein knisterndes Feuer blickt.“

Dieses „Familäre“ zeigt sich auch im Umgang miteinander: „Ich habe es auf einem Feuerkreisritt noch nie erlebt, dass mir der Tross eines anderen Reiters Wasser verweigert hat. Diese Kameradschaftlichkeit, das gegenseitige Helfen, das finde ich auf Feuerkreisritten schon besonders ausgeprägt“, berichtet Francis, wie die Distanzreiter Stefanie nennen.

Um auf die oben genannten Vorurteile zurückzukommen: Ich würde mal behaupten, schnell geritten wird überall. Das ist nämlich das Ziel des Distanzreitens: Mit gesundem Pferd möglichst schnell ankommen … Oder, um Francis zu zitieren: „Sportlichen Ehrgeiz hat meiner Ansicht nach jeder, der an einem Wettkampf teilnimmt, sonst könnte man ja auch gemütlich zu Hause reiten.“ Francis ergänzt: „Auch auf Wettbewerben des Feuerkreis e.V. wird mit Ehrgeiz geritten, nur die Taktik ist vielleicht etwas anders.“

Wild querfeldein geht es nur, wenn jemand seine Karte nicht lesen kann und einfach abkürzt. Typisch für Ritte des Feuerkreis e.V. ist nämlich, dass es sich um Kartenritte handelt – und, dass meist mindestens mittlere, wenn nicht sogar ausschließlich lange Strecken angeboten werden. Francis erklärt: „Alle Feuerkreisler sind Langstreckenreiter. Die Ritte orientieren sich eher am ‚traditionellen‘ Distanzreiten, es gibt keine Ritte, die mehrfach um ein zentrales Vet-Gate kreisen.“ Wirklich „wild“ hört sich dann auch die Satzung des Feuerkreis e.V. nicht an, denn die „bezweckt nach den Grundsätzen der Freiwilligkeit und Solidarität die Ausformung und Pflege von Horsemanship und die Gesunderhaltung von Pferden im Distanzsport.“ So kommt es dann auch, dass sich „im Feuerkreis e.V. sowohl Reiter mit internationalen Ambitionen als auch viele Urgesteine des deutschen Distanzsports finden“, wie Francis erklärt und sie fügt hinzu: „Ich bin Feuerkreismitglied, weil ich Spaß an diesen Ritten habe und diese erhalten möchte. Ich konnte gerade von den alten Hasen im Feuerkreis schon viel lernen – und wenn es manchmal nur etwas war, was ich so nicht machen möchte.“

Melanie Arnold ist Mitglied im deutschen Nationalkader und Aktivensprecherin im DOKR Disziplinbeirat, sie hat ebenfalls keine Berührungsängste: „Ich sehe die Feuerkreisler genauso wenig als eigene Gruppe wie die Endurance Academy. Sie ist für mich auch nur eine Interessengemeinschaft. Ich nehme hin und wieder an deren Wettkämpfe teil, sofern sie zeitlich in meine Terminplanung passen.“ Ihre Schwester Sabrina, wie Melanie auch Medaillengewinnerin der Mannschaftsbronze in Kentucky 2010, wurde schon auf Feuerkreisritten gesehen: „Ich hab selber schon einmal mit Melanie gemeinsam die Grastäler-Passage gewonnen.“ Also, wenn wir auch die internationalen Sportreiter bei den Feuerkreis-Reitern treffen, dann scheint das zumindest keine abgegrenzte Truppe zu sein.

 

Endurance Academy (Melanie Arnold): Die Sportreiter. Hier auf der CERA Challenge in Dillingen, Foto: Christian Lüke

Endurance Academy (Melanie Arnold): Die Sportreiter. Hier auf der CERA Challenge in Dillingen, Foto: Christian Lüke

 

EA – Eigene Ansage?

Seit ein paar Jahren gibt es ja noch eine Gruppe, bei der man spekuliert, ob sie sich von den anderen Distanzreitern abgrenzen will, die Endurance Academy. Oder doch nicht? Melanie Arnold stellt klar: „Die Endurance Academy ist eigentlich keine eigene Gruppe, mehr eine Interessengemeinschaft der ‚Sportreiter‘. Durch solche Interessengemeinschaften wird man von außen besser wahrgenommen und kann hier und da mehr Aufmerksamkeit erzielen.“ So steht es auch auf der Homepage der EA: „Die Endurance-Academy, eine unabhängige Organisation in Form eines gemeinnützigen Vereins, hat das Ziel, den Endurance-Spitzensport in Deutschland zu fördern.“ Damit wäre die Endurance Academy kein Verein, der sich von den „anderen Distanzreitern“ abgrenzen will, sondern einer, der die Reiter fördert. Melanies Schwester Sabrina stellt klar: „Die EA wurde gegründet, um die Sportreiter an den internationalen Sport heranzuführen.“ Damit ist die EA für mich eher eine Interessengemeinschaft als ein eigenes Volk.

Doch ein Volk?

Es scheint so, als wenn die Unterschiede zwischen uns Distanzreitern gar nicht so groß sind, wie wir manchmal denken. „Auf jeden Fall kann man sagen, wir sind ein Volk, jeder von uns hat die Passion Pferd, dennoch auf unterschiedliche Weise; die einen sehen den Distanzsport als Freizeit, die anderen als Sport“, stellt Sabrina Arnold fest und ergänzt, wo die Unterschiede liegen können: „Freizeit und Sport, dann auch noch Hochleistungssport.“ Aber es sind genau diese Grenzen, die ja auch bei jedem einzelnen Reiter wieder verschwimmen. So stellt Francis Prasch fest: „Ich würde sagen, die Grenzen zwischen den Gruppen, wenn man sie so sehen will, sind fließend. Und wo sollte man jemand einordnen, der mit einem Pferd in Tempo 6 einen Mehrtagesritt geht und den Monat drauf mit dem anderen in Tempo 3 einen internationalen Wettkampf bestreitet?“ Man kann und muss wohl nicht jeden Reiter in eine Schublade pressen.

Francis Statement brauche ich eigentlich nichts mehr hinzuzufügen: „Egal, wie die eigenen Präferenzen sind und ob man sich einer ‚Gruppe‘ zugehörig fühlt: Ich wünsche mir Toleranz gegenüber den Reitern mit anderen Schwerpunkten. Gegen Vorurteile hilft es oft, sich mal eine Veranstaltung der vermeintlich anderen Fraktion wieder einmal live anzusehen. Wir sind alle Distanzreiter!“ Und deshalb sollten wir ein wenig mehr Verständnis füreinander haben, anstatt die Unterschiede zu suchen. Wir könnten es halten wie Sabrina Arnold: „Ich respektiere alle Reiter in ihrer Art und Weise und ich denke man sollte allen zuschauen, nur so kann man lernen …“