Die Checkkarte dokumentiert nicht nur den zeitlichen Ablauf des Rittes, sondern vielmehr ein Gesundheitspass seines Pferdes für die Zeit des Rittes. Sie ist das wichtigste Rittdokument schlechthin. Daher und um ihrer großen Bedeutung gerecht zu werden, wollen wir der Checkkarte nicht nur einen einzelnen Artikel widmen, sondern in einer kleinen Artikelserie die einzelnen Spalten, die Eintragungen und ihre Bedeutungen für Pferd und Reiter erklären.
von Melanie Viell
Der Puls ist das wohl wichtigste metabolische Untersuchungskriterium eines Distanzpferdes. Auf der Checkkarte sind daher auch mehrere Spalten dafür reserviert und einige Kontrollen beschränken sich auf die Ermittlung dieses aussagekräftigen Wertes.
Doch nicht nur in den Kontrollen ist es wichtig den Puls des Pferdes ermitteln zu können. Auch auf der Strecke und zu Hause im Training liefert der Puls Informationen über den Zustand des Pferdes, die von entscheidender Wichtigkeit sind. Doch dazu muss man den Puls ermitteln, interpretieren und verwerten können.
Messen
Der Puls kann auf verschiedene Arten gemessen werden. Jede davon hat ihre Vor- und Nachteile und wird in unterschiedlichen Situationen angewendet:
1. Man kann den Puls mit der Hand fühlen und unter zu Hilfenahme einer Uhr die Frequenz messen.
Der Puls kann überall da ertastet werden, wo eine Arterie nahe an der Körperoberfläche liegt. Dies ist z.B. an folgenden Stellen der Fall:
Kopf: in der Vertiefung, wo die Ganaschen in den Unterkiefer übergehen und schräg unterhalb des Auges
Schweif: etwas seitlich von der Unterseite der Schweifrübe
Brust: Herzspitzenstoß an der linken Brustwand in Höhe Ellbogenhöcker oder vor der Brust am Halsansatz (dort manchmal auch sichtbar)
Beine: Beininnenseite sowohl kurz oberhalb als auch unterhalb des Karpalgelenkes.
Um die Frequenz zu ermitteln, wird mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand leicht auf die Arterie gedrückt, bis man den Pulsschlag fühlen kann. Dann wird 15 Sekunden lang gezählt und das Ergebnis mit 4 multipliziert. Diese Methode erfordert außer einer Uhr keine zusätzlichen Hilfsmittel, ist aber nur am stehenden Pferd möglich. Sie erfordert ein gehöriges Maß an Übung, besonders beim Ertasten des Ruhepulses. Hat man diese Übung, kann man damit zwar keine Herzgeräusche feststellen, wohl aber das Blutvolumen über den Gefäßinnendruck wahrnehmen.
2. Man kann den Herzschlag mit einem Stethoskop abhören und mit Hilfe einer Uhr die Frequenz des Pulses ermitteln.
Dazu drückt man den Kopf des Stethoskops leicht auf die Haut vor dem Sattelgurt hinter dem linken Ellbogen des Pferdes. Hat man die Ohroliven richtig in den Ohren, sollte man dort das Herz schlagen hören und 15 Sekunden lang zählen. Das Ergebnis mal 4 ergibt die Pulsfrequenz in Schlägen pro Minute.
Dies ist die üblichste Methode und wird in der Regel vom Tierarzt bevorzugt, da Herzgeräusche sofort wahrnehmbar sind. Steht das Pferd still, so ist mit ein wenig Übung auch der Ruhepuls meist problemlos zu ermitteln.
3. Man kann ein elektronisches Pulsmessgerät (PMG) verwenden.
Das in den Kontrollen verwendete elektronische Pulsmessgerät besteht aus einem Sender mit zwei Elektroden und einem Empfänger in Form einer Uhr. Beide dürfen sich üblicherweise nicht weiter als einen Meter voneinander befinden, um korrekt zu arbeiten. Sender und Elektroden bilden einen Griff, der an die linke Seite in Herznähe ans nasse Pferd gehalten wird. Schon nach wenigen Sekunden kann der Wert auf der Uhr abgelesen werde.
Bei dem im Training zum Einsatz kommenden PMG sind die Elektroden nicht in einen Griff integriert, sondern werden unter dem Sattel bzw. Sattelgurt befestigt. Ist das Pferd noch trocken, wird mittels Elektrodengel eine Übertragung sichergestellt. Die Uhr trägt der Reiter üblicherweise an seinem Handgelenk und kann dadurch zu jeder Zeit die Pulsentwicklung des Pferdes beobachten.
Inzwischen arbeiten Pulsmessgeräte recht zuverlässig und störungsfrei, können fast immer und überall eingesetzt werden, liefern aber nur stumpfe Daten. Die Kraft des Herzens, seine Geräusche, das Blutvolumen, nichts davon wird erfasst. Dafür ist die Messung der Herzfrequenz aber blitzschnell, objektiv und unmittelbar für eine größere Zahl von Menschen ersichtlich.
Gangart | Geschwindigkeit in m/Min | Pulsfrequenz in Schlägen/Min |
---|---|---|
Stehen | 24 – 48 | |
Schritt | 100 – 125 | 80 |
Trab, langsam | 230 | 120 |
Trab, schnell | 300 | 140 |
Galopp, langsam | 350 | 160 |
Galopp, schnell | 500 | 200 |
Renngalopp | 500 – 1000 | 200 – 250 |
Interpretieren
Um die Pulsdaten interpretieren zu können, ist es zunächst wichtig, allgemeine Richtwerte zu kennen. Als Richtwerte kann man sich folgende merken:
Da der Puls sowohl durch sehr viele äußere Faktoren als auch durch die Individualität des Pferdes beeinflusst wird, können die Messungen für einen Vergleich verschiedener Pferde und Situationen nur Anhaltspunkte sein.
Reitet der Reiter mit einem PMG am Pferd, so wird er bemerken, dass die Werte in den einzelnen Gangarten abhängig von Tempo, Wetter und Zustand des Pferdes schwanken. Mit zunehmender Erfahrung wird der Reiter diese allgemeinen Werte für sein Pferd individualisieren können.
Viel wichtiger als die gemessene Herzfrequenz ist aber das Regenerationsverhalten. Anhand dieses Verhaltens lässt sich der Trainingszustand und in der Rittsituation der Erschöpfungszustand des Pferdes beurteilen:
Gut trainierte Pferde: Puls fällt innerhalb von 3-5 Minuten stark ab (bis 64), egal welcher Ausgangswert, und sinkt zügig weiter.
Mittelmäßig trainierte Pferde: Hoher Puls fällt bis ca. 64 / 68 und verweilt dort eine kleine Weile, bevor er langsam weiter sinkt.
Nicht genügend trainierte Pferde: Puls fällt innerhalb von 15 Minuten von 68 auf 64 Schläge oder ein hoher Puls verweilt länger als 20 Minuten bei einem Wert über 70 Schlägen. Dies bedeutet keine ausreichende Regeneration.
Auf der Checkkarte sind für die Pulsmessungen 5 Spalten vorgesehen, je eine für die Vor- und Nachuntersuchung und weitere 3 für die Messungen an den Streckenkontrollen: Die Regenerationszeit, die Pulswerte bei erster Ermittlung und später sowie die Pulswerte beim HRRI.
Die geforderte Regenerationszeit, dass innerhalb von 20 Minuten der Puls auf unter 64 Schlägen pro Minute fallen muss, ist ein Erfahrungswert aus den 60er Jahren, der sich in der Folge bestätigt hat. Die reale Regenerationszeit ergibt sich aus der Zeitdifferenz des Erstwertes zur Messung eines Pulses unter 64 Schlägen pro Minute und sollte möglichst kurz sein. Es gilt: Je kürzer die Zeit und je größer die Differenz der beiden Pulswerte, desto besser die Regeneration. Und auch wenn das offizielle Kriterium der Regeneration bei Werten von zunächst 68 Schlägen pro Minute auf 64 Schläge pro Minute nach 20 Minuten erfüllt ist, bedeutet dies doch, dass keine wirkliche Regeneration statt gefunden hat. Für Reiter und Tierarzt ein deutliches Alarmsignal.
Der HRRI = Heart Rate Recovery Index (Ridgeway Trot) ist ein Pulstest, der anzeigt, ob irgendwo im Organismus ein Problem vorliegt. Dazu wird der Puls zunächst gemessen, das Pferd dann 30-40 m traben gelassen und exakt eine Minute nach dem Lostraben wird der Puls erneut gemessen. Ergibt sich kein Unterschied oder nur einer von 4 Schlägen pro Minute, ist alles in Ordnung, bei einer Differenz von 8 Schlägen ist deutliche Vorsicht angezeigt und mehr Schläge Unterschied bedeuten auf jeden Fall die Elimination vom Ritt, da ein ernst zu nehmendes Problem angenommen werden kann.
Der Test kann vom Tierarzt angeordnet oder auch vom Reiter erbeten werden, ist aber nicht bei jeder Kontrolle Standard. Je länger der Ritt, desto eher wird der Tierarzt den HRRI durchführen, bei kürzeren Ritten ist dies nicht ohne besonderen Grund zu erwarten.
Schon bei der Voruntersuchung wird der Puls ermittelt, dient dieser Wert doch als Anhaltspunkt und Richtwert für den normalen Ruhezustand des Pferdes. Der Tierarzt stellt dabei fest, ob das Pferd über ein großes kräftiges Herz mit einem großen Herzminutenvolumen verfügt oder eher einen kleinen „Motor“ besitzt. Der häufig diagnostizierte „physiologische AV-Block“, eine Erregungsleitungsstörung zwischen den Vorhöfen und Kammern eines Sportherzens, ist später auf dem Ritt (unter Belastung) meist nicht mehr festzustellen und kein Grund zur Sorge. Eine ausgewachsene Herzinsuffizienz jedoch beendet den Ritt noch bevor er richtig angefangen hat.
In den tierärztlichen Kontrollen während des Rittes spielen sowohl die Regenerationszeit eine Rolle als auch der Eindruck, den der Tierarzt durch das Abhören vom Zustand des Herzens erhält. Klingt das Herz angestrengt, wird der Tierarzt dies dem Reiter mitteilen und ihn zur Vorsicht mahnen, auch wenn die Regenerationszeit keinen Grund zur Beanstandung liefert.
In den einfachen Pulskontrollen auf der Strecke misst ein Pulshelfer die Herzfrequenz lediglich um die Regenerationszeit zu ermitteln. Dies kann man als eine Schnellkontrolle auffassen, um schon frühzeitig erste Erschöpfungsanzeichen zu erfassen. Stimmt im Ziel die Regenerationszeit, kontrolliert der Tierarzt in der Nachuntersuchung dann noch einmal das Herz im Zuge einer umfangreichen Gesamtuntersuchung, wie er sie schon vor dem Ritt durchgeführt hat.
Beeinflussungsmöglichkeiten der Pulsfrequenz
Die Regenerationszeiten während des Wettkampfes werden durch vielfältige Faktoren beeinflusst.
Pony- und Vollbluttypen weisen ein unterschiedliches Regenerationsverhalten auf. Je weniger kompakt das Pferd gebaut ist, desto besser kann die Wärme abgeführt werden und desto schnellere Regenerationszeiten sind zu erwarten. Hengste regen sich schneller auf als Stuten und „kommen gelegentlich schlecht runter“. Warmes und feuchtes Wetter belastet den Kreislauf und lässt sich ebenso wenig beeinflussen, wie die beschriebene genetische Disposition.
Vom Reiter zu beeinflussen sind hingegen sein Verhalten, die Ritttaktik und die Betreuung. Beachtet der Reiter die Regel, dass es darauf ankommt, was das Pferd auf der zurück gelegten Strecke geleistet hat und nicht nur auf den letzten Kilometern vor der Kontrolle, so wird er bessere Regenerationszeiten erreiten als der Gas-und-Brems-Reiter. Ein erfahrener Reiter ist in den Kontrollen selbst ruhiger und fördert dadurch die Absenkung des Pulses und auch die Pferde lernen mit zunehmender Erfahrung ganz von selbst, dass Kontrollen und Pausen eine Zeit zum Abschalten sind. Auch die individuelle passende Betreuung des Pferdes, seine Futter- und Wasseraufnahme, die richtige Mischung aus Ruhe und Bewegung, die richtige Pflege bezüglich Kühlung und einer wärmenden Eindeckung usw. bestimmen maßgeblich die Regenerationszeit.
Der wichtigste Faktor ist jedoch am besten vor dem Ritt zu beeinflussen, das Training. Gutes Training und gute Vorbereitung verbessern die Regenerationszeiten. Gezieltes Training beinhaltet das Sammeln und Vergleichen von Pulswerten, es orientiert sich immer an deren Veränderungen und wird durch diese gesteuert. In diesem Kontext werden Pulswerte dann sogar zu wissenschaftlichen Daten.