Bert Fichtel: Eine Distanz-Ikone feiert 75-jährigen Geburtstag

Vor einem 3/4 Jahrhundert, am 7. August 1937, erblickte Bert Fichtel das Licht der Welt. Im Alter von 20 sitzt er zum ersten Mal auf einem Pferd und auch 55 Jahre später, ist er auf zahlreichen Feuerkreis-Langsteckenritten am Start – und das sehr erfolgreich!

Bert Fichtel ist eine Ikone! Wenn es eine Wahl zum „Mr. Endurance“ gäbe, dieser Mann würde sie bestimmt gewinnen.
„Ikonen“ an sich sind jedoch oft nicht so ganz einfach, da es sich meistens um ganz außergewöhnliche Persönlichkeiten handelt. Ob dieses für Bert Fichtel zutrifft, lasse ich offen: Bert ist eine große, starke Persönlichkeit mit seiner eigenen Meinung, besonders zum Thema Distanzreiten, die er beharrlich vertritt. Nun – entweder hat man dieselbe Meinung und Bert zum Freund, oder eben nicht. Es gibt die große Gemeinschaft der „Feuerkreis“-Distanzreiter, die mit Bert können, aber auch zahlreiche Distanzler, die lieber Abstand von ihm halten. Als es darum ging, diesen Artikel zu schreiben, fragte ich eine Bekannte, ob sie Lust hätte, diese Aufgabe zu übernehmen. Als Antwort bekam ich: „Bert Fichtel – nein – ich schreibe jeden Artikel, aber das kann ich nicht, Bert Fichtel mag mich nicht.“
Tja, da stand fest: Ich schreibe den Artikel. Also telefonierte ich mit Bert, dem Schlossherren und er lud mich ein, ihn in seinem Schlösschen Wasem in Hennweiler zu besuchen. Mit etwas flauem Gefühl machte ich mich auf dem Weg und war gespannt, wie das Gespräch verlaufen würde…
Als Hintergrundinfo zu meiner Person sei gesagt, dass ich Bert vor drei Jahren zum ersten Mal auf der Grastälerpassage gesehen habe und ihn zum letzten Mal Anfang 2011 bei einem Treffen anlässlich der 20. Jährung des legendären Trabweg West über 1000 km in der Pfalz erleben durfte. Ich bin ein Fan von Bert, wenn man das so nennen kann und ich teile seine Ansichten in weiten, wenn auch nicht in allen Bereichen. Auch habe ich die Ehre, mich einen Feuerkreisler nennen zu dürfen, auch wenn ich lediglich hinter dem Gedankengut stehe, jedoch von den Leistungen eines Langstreckenreiters weit entfernt bin.

Am Ortseingang von Hennweiler steht ein weißes Pferd auf einer riesigen Koppel, das muss Kimbal sein, denke ich, aber wo ist nur dieses Schloss? Mein Navi scheitert, als zwei große Steine die Durchfahrt durch einen schattigen Waldweg versperren. Ein Anruf bei Bert und der Weg ist gefunden – gewusst wo! Noch einige hundert Meter nach einem Parkplatz einem Pfad folgen und schon taucht das Schloss, oder eher Schlösschen, mit seinem großzügigen Areal linkerhand auf. Die Eingangstür steht offen und Schlosshündin Buffi lässt erkennen, dass ich noch nicht sofort eintreten soll. Erst als Bert auftaucht und mich herein bittet, macht auch Buffi den Weg frei. Das Anwesen sieht von innen in etwa so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte: Große Kronleuchter hängen an der Decke, ein riesiger goldener Spiegel an der Wand und altes, dunkles Mobiliar in den Räumen, ebenfalls eine große Bibliothek im Nachbarzimmer: Was für ein magischer Ort. Gerne hätte ich hier Fotos von Bert gemacht, wie er, nachdenkend über die Lage des Distanzreitens in Deutschland aus dem großen Fenster Richtung Park schaut. Ein Traum für einen Fotografen, doch da ist Herr Fichtel etwas eigen – es wäre ihm sichtlich unangenehm, lieber stöberte er nach alten Bilder aus den letzten 55 Reiterjahren. Doch hier taten sich dann Klassiker auf, wie z.B. Bert in Jugendjahren mit Helm als Kopfschmuck, sicher eine absolute Rarität, denn er ist inzwischen zum Verfechter der Kopffreiheit geworden. Auch schön anzuschauen: Bert mit freiem Oberkörper 1991 auf seinem Vollblutaraber Khazo, Kimbals Vater, das ist Reiten pur!

Bert ist ein hervorragender Gastgeber: Der Frühstückstisch war reichlich gedeckt, Kaffee stand bereit und wir nahmen im Besucherzimmer Platz. Es war ruhig. Bert ist kein Mensch, der sofort mit einem großen Monolog beginnt. Er ist bedacht, auf Fragen antwortet er mit etwas Verzögerung, dann aber wohlüberlegt und treffend.
„Vor etwa vier Jahren saß hier Susanne Polzin im selben Stuhl“, erzählte er. „Sie war voller Enthusiasmus für den Distanzsport und hatte gebrannt vor Leidenschaft.“ Ihr Distanzmagazin „endurance insight“ wurde nach 5 Ausgaben eingestellt, nun sitzt der Herr Lüke in diesem Stuhl, dem Bert im November letzten Jahres einen langen Brief geschrieben hatte. In diesem Brief hatte er nicht mit Lob für das Nachfolgemagazin „Distanzreiten“ gespart, jedoch prophezeit, dass es auch hier dasselbe Ende geben werde, wie zuvor bei „endurance insight“ – er hatte leider Recht.
Bert Fichtel kennt sich mit der Thematik Distanzreiten aus, wie nur wenige außer ihm, denn er ist ein Distanzler der ersten Stunde. So könnte ein Bericht über ihn sicherlich auch ein Buch füllen – eine sehr reizvolle Aufgabe, die jedoch den Umfang für dieses Jahrbuch bei weitem sprengen würde. Außerdem ist der Autor, der erst vor wenigen Jahren den Zugang zum Distanzreiten gefunden hatte, nicht die richtige Person, um eine solche Persönlichkeit im angemessenen Umfang zu würdigen. So bleibt dieser Bericht lediglich ein kleiner Einblick in das Leben eines großen Distanzreiters.

Es folgt ein kurzer Auszug aus Berts über 40-seitiger Dokumentation über den von ihm organisierten Trabweg West mit 1000 km aus dem Jahr 1990:
„Der erfahrene Überland – Reiter nahm jedoch nur das Notwendigste mit. Erfahrungsgemäß musste in den Mittelgebirgen sehr viel abgestiegen werden. Chaps oder Reitstiefel mit polnischer Kappe, welche die Knöchel mit einschloss, waren hier falsch am Platz. Der komfortable Joggerschuh war sehr in Mode – in Sümpfen und Bergbächen hatte man darin schnell nasse Füße. Das fußgerechte Schaumstoff Fußbett trocknet lange. Wenn man auf Chaps verzichtet, muss eine lange Unterhose oder Strumpfhosen gegen das Wundreiten eingeplant werden. Spanische Halbstiefel hielt ich für die beste Lösung. Ein langärmeliges Wollhemd in Verbindung mit einer Weste erschien mir bei den meisten Temperaturen als sinnvolle Bekleidung. Auch Südamerikanische Wollponchos waren sehr häufig zu sehen. Außer ihrer Eigenschaft, schnell zu trocknen, boten diese auch die Möglichkeit, das Pferd, wenn nötig, einzudecken. Gegen starken Regen nahmen viele eine Regenhaut aus Armeebeständen vor sich auf den Sattel. Solange es irgendwie geht, verzichte ich auf wasserdichte Kleidung, da die Stauhitze unangenehm ist und jede Regenpelle hinderlich ist, wenn auf- und abgesessen werden muss. Einem dicken Troyer oder Islandpullover gebe ich den Vorzug.
Auch auf Handschuhe verzichte ich nie, selbst wenn ich ohne Hemd reiten sollte. Außerhalb bewohnter Gebiete darf man sich diese Freiheit ruhig gönnen. Kopfbedeckungen sieht man bei den Langstrecklern nahezu nie. Für Distanzreiter die Helme tragen, ist das ein Kostüm, eine martialische Entlehnung aus der Military. Die Sicht und besonders das Gehör sind eminent eingeschränkt. Von der Auswirkung bei Mittagshitze ganz zu schweigen. Seit 1970 ist mir nie eine Kopfverletzung auf Distanzritten begegnet, wohl eher solche an Knien und Armen. Lediglich ich machte eine ungewöhnliche Erfahrung auf dem Ritt nach München. Deswegen reite ich aber nicht wie ein verlorener Motorradfahrer durch die Natur.
Neben dem als richtig erkannten Schuhwerk sehe ich in dicken Wollsocken mein Wohlbefinden, die Füße tragen bei meinem Reitstil die Hauptlast. Selbst breite Bügel haben harte Kanten und Sporen trage ich grundsätzlich. Beides drückt zeitweilig, die dicken Socken polstern ein wenig. Obwohl ich nicht mehr als 65 kg in den Sattel brachte, ritt ich 4 lange Unterhosen durch, wobei ich unterwegs nachkaufen musste. Diesen Umstand sollte man Rechnung tragen. Selten wird ja über die Bekleidung des Reiters gesprochen.“

Dieser kleine literarische Ausflug in die Vergangenheit lässt erkennen, dass Bert Fichtel ein großer Autor ist. Gleichzeitig beschreibt er in etwa das Erscheinungsbild, das einem Aussenstehenden zu Gesicht kommt, wenn er auch heute noch Bert hoch zu Rosse sieht. Zu erwähnen sei noch sein kanadischer Mc Cleallen Sattel von 1925, den er auf allen seinen Pferden seit 1980 benutzt. Die Anpassung erfolgt lediglich durch mehrfache Unterlagen.
Ein komischer Kauz? – So macht es auf den ersten Blick den Anschein, sieht man rund um ihn herum doch in erster Linie modisch gekleidete Mädchen und Frauen, oft mit farbenfrohen, aus modernem Biothane gefertigten Trensen.
Die Zeiten haben sich geändert. War Distanzreiten, oder auch Reiten allgemein, früher ein reiner Männersport, so hat sich dieses komplett gewandelt und man sieht in erster Linie junge Reiterinnen zu Pferde. Betrachtet man heute die Anzahl der aktiven Distanzreiter(innen) in Deutschland und deren bestrittenen Ritte, so erkennt man, dass die Kurzstrecke die meisten Teilnehmer findet. Ebenfalls reitet der Durchschnittsdistanzler deutlich weniger als eine handvoll Ritte pro Jahr. Nur 100 Distanzreiter in Deutschland absolvieren mehr als vier Ritte jährlich. Ein Distanzritt ist heute meistens eine nette Wochenendunterhaltung, die Samstags konsumiert wird, um noch einen freien Sonntag genießen zu können. Auch der Muskelkater hält sich so in Grenzen. Zeiten ändern sich, vorbei sind die Jahre, in denen ein Distanzritt ein ganz großes Abenteuer war, wie eben dieser legendäre Trabweg West. In jenen Zeiten mussten sich Distanzreiter mit wenig Komfort zufrieden geben, sehr naturnah in der wilden Natur nächtigen und gewisse Überlebenskünste mitbringen. Dafür wurden diese „Naturburschen“ mit etwas belohnt, das es heute leider kaum noch zu erleben gibt: Das große Abenteuer zu Pferde und ein sehr intensives Verhältnis zwischen den Partnern Mensch und Pferd!

Das Erlebnis der langen Strecke ist, wie der Name auch sagt, für Bert eine der grundlegensten Eigenschaften des Distanzreitens. In den Anfangsjahren des Distanzreitens in Deutschland war an kurze Ritte überhaupt nicht zu denken. Die Distanzen begannen bei 50 km in Ankum (1969) und wurden von Ritt zu Ritt anspruchsvoller. Das war die Zeit, als Bert in einer Zeitungsmeldung zum ersten Mal vom Distanzreiten erfuhr.

Im Alter von 20 Jahren saß Bert zum ersten Mal auf einem Pferd, das war 1957. Reiten war in jener Zeit etwas Utopisches, ein Hobby, das sich nur ganz wenige Personen mit einem entsprechenden Einkommen leisten konnten. Eine Reistunde für 2 DM war kaum bezahlbar. Da Freunde zu jener Zeit Islandponies besaßen, hatte Bert damals die Möglichkeit, erste Erfahrungen auf dem Pferderücken zu machen. Es folgte der Beitritt zu einem Reitverein. Aber dennoch war es Bert in diesen Jahren nicht möglich, ein Pferd aus dem Reitstall zu leihen, um einen Ausritt zu machen, obwohl ihn dieser Gedanke so sehr faszinierte, denn man musste dafür mindestens das bronzene Reitabzeichen besitzen und ebenfalls recht viel Geld für einen Ausritt zahlen. Auch Leihställe gab es damals kaum in seiner Gegend.
Zufällig stießen Bert und seine damalige, ebenfalls reitbegeisterte Frau, auf das Pferd Bolja, das zu verkaufen war. Seine schwangere Frau hatte sich sehr in das Pferd verliebt. „Spontan und wirtschaftlich nicht fundiert, hatten wir Bolja damals erworben, dieses ermöglichte uns tägliches Reiten“, so Bert.
Nach einigen Reitjagden, die Bert mit Bolja bestritt, erschien nun eben dieser Artikel über den ersten Deutschen Distanzritt in Ankum, der Berts Leben komplett auf den Kopf stellte. Er konnte damals mit seinem Pferd 1,5 Stunden flott über sandige Wege reiten, „man hatte nicht daran gedacht, dass es überhaupt möglich sei, einem Pferd viel mehr an Ausdauerleistung abzuverlangen“, sagte Bert. Unbedingt wollte er beim nächsten Distanzritt mit dabei sein und er setzte alle Hebel in Bewegung, um im Folgejahr in Ankum am Start zu stehen. „Solch eine Aktion war damals ein unglaublicher Aufwand. Dieser und folgende Ritte fanden nicht gerade vor der Haustür statt. Man musste durch halb Deutschland reisen, benötige dafür einen Pferdehänger und eine passende Zugmaschine – alles Dinge, die zu besitzen in jener Zeit absolut nicht selbstverständlich waren. So waren es damals nur Unternehmer, Steuerberater, Rechtsanwälte… vielleicht 6-7 an der Zahl, die zu dieser elitären Gruppe gehörten, die an Distanzritten teilnehmen konnten.“
Bert telefonierte mit dem Veranstalter des Ankum-Rittes, Wolf Kröber, dieser hatte ihm eine Transportmöglichkeit für sein Pferd vermittelt. Es kamen in den Folgejahren weitere Distanzritte hinzu, auch in Süddeutschland. Doch dann, 1969, kam ein neuer Trend zu kürzeren Ritten in Mode. Diese Entwicklung gipfelte 1976 in der Gründung des VDD. Hier wurden solch kürzere Distanzen offizieller Bestandteil des Reglements, worauf vier Veranstalter, die das Langstreckenwesen nach 1969 begründet hatten, ihre Termine absagten. So kam es damals zu jenem legendären Treffen im Kreise eines Lagerfeuers, bei dem sich diese Veranstalter und weitere engagierte Reiter (auch Bert) in der Runde versammelten, um über die Zukunft des Distanzreitens zu beraten. Es wurde der Beschluss gefasst, eine eigene Vereinigung, den „Feuerkreis“ zu gründen, um die alten Werte des Sportes zu wahren (detaiilierte Infos auf www.feuerkreis.de).
Bert wurde zum Rittveranstalter, etwas was nie zuvor in seiner Absicht war und „aus der Not heraus entstand, da der VDD sich nicht mehr für lange Ritte interessierte“, so Bert.
Der erste große Ritt des „Feuerkreis“ war der Hundertmeiler Hamburg-Hannover (die heutige Heidedistanz), deren Organisation der Verein übernahm. Insgesamt 15 mal wurde dieser Klassiker als Feuerkreisritt ausgetragen, bevor die Organisation an Claus Angelbeck überging.
Etwa ein Dutzend weitere Feuerkreis-Ritte kamen in den Folgejahre, vorwiegend im Nordwesten der Republik, hinzu. Die größte Veranstaltung sollte 1990 der Trabweg West werden. EIn Ritt, der von Frankreich über das Saarland, über 1000 km bis hoch zur Nordsee verlaufen sollte: Ein Ritt, der in dieser Größenordnung seit damals nicht mehr geboten wurde.
Im letzten Jahr erreichte die Mitgliederzahl der Feuerkreisler die 100er Marke, eine kleine Minderheit unter den etwa 2000 aktiven Distanzreitern in Deutschland. 5% der Distanzreiter im Lande schätzen die alten Werte und erfreuen sich an dem freundschaftlichen Klima und dem guten Geläuf der Feuerkreis-Ritte. Doch wie lange es diese Ritte noch geben wird, mag Bert nicht beantworten. „In fünf Jahren werde ich nicht mehr veranstalten“, sagt er, „aber es finden sich auch begeisterte junge Reiter, wie z.B. die Stefanie Prasch (Francis), die Klassiker, wie die „Grastälerpassage“ übernehmen und somit erhalten. Die Gefahr ist jedoch gegeben, dass der Feuerkreis überaltern wird, denn es kommen einfach zu wenige neue Reiter nach, denen die urspünglichen Werte des Distanzreitens am Herzen liegen. Bis es jedoch soweit ist und solange sich Bert noch für die lange Strecke fit fühlt, solange dürfen sich diese 5% an den wunderschönen, naturnahen Feuerkreis-Ritten erfreuen. „Was gibt es Schöneres, als auf endlosen Wegen in den Sonnenuntergang zu galoppieren“, so Bert. „Und wenn es irgendwann nicht mehr ganz so heiß zur Sache gehen kann, dann habe ich unter meinen derzeit sechs Pferden, noch zwei Fjordponys von Boljas letztem Sohn im Stall: schön zu reiten, wenn ich einmal alt bin.“

Text: Christian Lüke