Gestüt Classic Performance

Sucht man in Deutschland einen Züchter, der sich auf Distanzpferde spezialisiert hat, so ist die Auswahl nicht sehr groß: In Solms bei Wetzlar befindet sich das Gestüt Classic Performance von Urte & Jost Appel, die Topadresse für Distanz- und Rennpferde.

 

Gestüt Classic Performance - Arasier Eurowings auf der Koppel, Foto: www.slawik.com

Gestüt Classic Performance – Arasier Eurowings auf der Koppel, Foto: www.slawik.com

 

Bin ich hier richtig? 

Ich befinde mich in der Lahnstraße in Solms, wo das Gestüt Classic Performance von Urte&Jost Appel sein soll und es gibt hier nur Wohnhäuser. Wie soll man hier Renn- und Distanzpferde züchten? Vielleicht doch noch einmal telefonieren, ob ich mich vertan habe, doch da sehe ich schon einen Vierer-Pferdeanhänger in einer Einfahrt, und bei näherem Hinschauen darauf auch das gestütseigene Logo „German Endurance“. Also doch richtig. Auf dem Hof angekommen, werde ich erst einmal freudig von einem beeindruckenden Hund begrüßt. Goethe, so der Name, ist aber, wie sich rausstellt, ein überaus freundlicher Hund, der sich nur zu Nachtzeiten zum Wachhund verwandelt.

Im Schlepptau von Goethe, Urte und Jost Appel. Meine erste Frage zielt logischerweise direkt auf den Ort des Geschehens. Es stellt sich heraus, dass sich das Gestüt wie eine Insel auf 6 Hektar gestütseigener Fläche auf verschiedenen Höhen und Terassen befindet, eingebunden mit einem Baumgürtel am Rande von einem Wohngebiet. Das Trainingsgelände, das man direkt über die Südspitze des Areals erreicht, lässt das Distanzherz höher schlagen. Stundenlanges Reiten, erzählen Appels begeistert, mit Berganstiegen und nur gelegentlichen Straßenüberquerungen und für alle Trainingsreize geeignet. Neben der überdachten Führanlage, erfahre ich dann, gibt es für die Gymnastizierung, Hand- und Dressurarbeit eine 20 x 40 m Halle, denn darauf legt Urte Appel sehr viele Wert, liegen doch ihre reiterlichen Wurzeln in der altklassischen Dressur. An das wirklich aktive Distanzreiten kam sie erst durch Jost, jetzt sind sie gemeinsam auf der Strecke. Die dafür prädestinierten Vollblutaraber, Achal-Tekkiner und seit einigen Jahren Arasier® züchten die beiden leidenschaftlich, und das für den nationalen und internationalen Renn- und Distanzsport.

Vollblutaraber ist klar, Achal-Tekkiner sah ich auch gelegentlich auf Distanzen, wie z.B. international Okhan unter Jost, aber was ist bitte schön ein Arasier®, frage ich meiner Neugier folgend. Ganz einfach, so Jost, wir sahen, dass mehr und mehr die Entwicklung bei den Achal-Tekkinern der Entwicklung des Vollblutarabers folgt, weg von den sportlichen Leistungspferden und hin zum reinen Schaupferd, aus dem dann das „Abfallprodukt“ Reitpferd auf den Markt kommt. Da wir mit unserer Leistungszucht mit wenigen anderen Züchtern relativ alleine stehen in Deutschland, haben wir neben unserer Vollblutaraber- und Achal-Tekkiner-Leistungszucht mit dem Arasier® 2006 eine Gebrauchspferdezucht in die Welt gerufen, die als Spezialrasse beim ZSAA geführt wird. So erzählt Jost weiter, dass der Arasier® auf zwei Säulen basiert, nämlich auf der Kreuzung von Arabischen Rassen und dem Achal-Tekkiner, dies jedoch unter der Voraussetzung, dass beide Elterntiere eine Leistungsprüfung vorweisen können. Dass momentan die ersten reinrassigen Arasier®, Astrachan unter Meyke Kalms und Eurowings unter Jost, auf der Strecke sind, ergänzt Urte und nimmt damit die Antwort auf meine nächste Frage vorweg, ob denn auch schon Arasier im Sport zu finden sind. Die Rassekombination als solche gibt es international bereits erfolgreich im Sport, in den USA genauso wie in Russland.

Es verwundert mich schon, dass ein Gestüt, das schwerpunktmäßig Richtung Distanzpferde züchtet, rassetechnisch so vielseitig aufgestellt ist. Wie kommt man zu solch einer bunten, sprich einer auf mehreren Rassen basierenden Leistungszucht? Ich kenne fast ausschließlich Züchter, die eine Rasse züchten, und dann auch darin oft nur eine bestimmte Linie. Dafür muss ich etwas weiter ausholen, so Urte, und erzählt wie sich das Gestüt entwickelte und wie es heute besetzt ist.

Alles begann mit dem 1984 geborenen Gründerhengst, dem ägyptisch gezogenen Vollblutaraber und Elitehengst Naheed. Der knapp 1,60 cm große Sportler wurde Sieger der Hengstleistungsprüfung, war nicht nur für die Araberzuchten, sondern auch für die Warmblüter anerkannt, war von Urte in der Dressur bis Klasse S ausgebildet und gewann auf den damals noch als Zuchtschauen ausgestalteten Araberschauen Titel bis hin zum Reserve-Champion. Seine Kinder und deren Nachkommem befinden sich auf der ganzen Welt und natürlich auch auf dem Gestüt, darunter der gekörte und ebenfalls rein ägyptische Leistungshengst Ghamin. Er ist Rennsieger mit Rennhengstleistungsprüfung, hat Dressurerfolge bis Klasse L, war im Distanzeinsatz, ist ein sehr erfolgreicher Vererber mit europaweiter Nachzucht und zur Zeit einer der deckstärksten Vollblutaraber Kategorie Leistungszucht beim ZSAA. Seit Einführung des Fohlenprämiensystems sind seine Nachkommen nahezu ausnahmslos prämiert und er brachte in 2011 und 2012 jeweils das einzige deutsche 3*-Sterne-Fohlen bei den Vollblutarabern. Ghamin ist auch der Vater von dem 6-jährigen Vollblutaraberhengst Eas El Maz, mit dem Urte, sichtlich stolz, seit einem Jahr bis 80 km unterwegs ist. Dass dafür ein Hengst ein ausgezeichnetes Interieur haben muss, bedarf an dieser Stelle keiner Nachfrage von mir. Mit Gharam Bint Naheed befindet sich eine ägyptische Vollblutaraber-Tochter von Naheed als Zuchtstute auf dem Gestüt, erzählt Urte weiter. Gharam ist zweifach stutenleistungsgeprüft, war erfolgreich auf der Rennbahn und Siegerin Reserve bei der LPO-Stutenleistungsprüfung, ihre 3-jährige Tochter Ghibralta A läuft derzeit ebenfalls mit Erfolg Rennen, ihre 7-jährigeTochter Ghanima Bint Ganimed war bisher mehrfach bis 90 km siegreich in Frankreich und ihre restliche Nachkommen werden in den kommenden Jahren im Distanz- und Dressursport zu finden sein. Neben Gharam stehen auf dem Gestüt zwei weitere Vollblutaraberstuten, die russisch-ägyptisch gezogene Deutsche Derby-Siegerin Neyrah El Samawi, aus der das diesjährige 3*Sterne-Fohlen stammt und deren Tochter Nufene A auf der Warschauer Rennbahn bereits Gruppe I-Siegerin war, sowie die französisch gezogene Dormane-Tochter Eudoxie, selbst Siegerin in Distanzrennen, doppelt über Rennen und Distanz stutenleistungsgeprüft und Mutter u.a. des Arasiers® Eurowings. Der Hang zu den Achal-Tekkinern war bei Jost&Urte schon immer vorhanden und wurde mit dem Kauf des goldfarbenen Daimir verwirklicht, nachdem Naheed überraschend im Jahr 2000 an einer Kolik-OP verstorben war. Für einen Vollblutaraber-Nachfolger, damals war Ghamin noch ein Fohlen, konnte ich mich damalig nicht entscheiden, so Urte, jeder musste sich dem Vergleich mit Naheed stellen. Um jedem Vergleich aus dem Weg zu gehen, fiel die Entscheidung für einen Achal-Tekkiner. Das war mehr oder weniger der Tag, an dem Daimir mir über den Weg lief und bei uns Einzug hielt. Er erfüllte alles, was Urte suchte, wirft Jost ein, beste Abstammung, bewegungsstark, rennleistungsgeprüft, überragend am Sprung, überzeugend in der Dressur und eine echte Persönlichkeit. Heute kann Daimir als Elitehengst auf unzählige Nachkommen blicken, Stuten aus allen Rassen wurden ihm als Veredler zugeführt. Beispielsweise ist er auch der Vater von Meyke Kalms Arasier® Astrachan. Dass sich zu Daimir schließlich mit Anjuli noch eine hochsportliche Achal-Tekkiner-Zuchtstute einfand, die Josts und Urtes Leistungsanspruch nicht erst seit ihrem Sieg bei der LPO-Stutenleistungsprüfung entsprach, war die logische Folge.

Während unseres weiteren Gesprächs gehen wir durch die Stallungen und laufen zu den Koppeln. Bis auf Ghamin und Daimir, die auf ihren boxenangeschlossenen Großpaddocks stehen, finde ich kein Pferd in den ca. 30 Boxen. Alle anderen Pferde befinden sich auf Koppeln und großen Außenpaddocks. Und die hier nicht sind, befinden sich in der Aufzucht oder der Rennbahn, gibt Jost direkt die Antwort auf meinen fragenden Blick. Alle Fohlen, die wir erst einmal nicht verkaufen, gehen in den bayerischen Wald in eine harte Aufzucht auf über 100 ha Bergwiesen, eine ähnliche Haltung wie in Marbach. Hier haben sie beste Voraussetzungen, um ihren Bewegungsapparat und ihr Sozialverhalten zu trainieren und wachsen insbesondere extensiv auf. 3-jährig, so Jost, holen wir sie dann zurück ins Gestüt, bis auf diejenigen Vollblutaraber, die dann direkt auf die Rennbahn gehen. Derzeit laufen 6 Vollblutaraber aus unserem Gestüt, davon 4 unter unserem Namen, erfolgreich im polnischen Warschau auf der Rennbahn, wobei unser Impact zu den Top Five der über 3-Jährigen in Warschau gehört (von insgesamt ca. 200) und unsere Nufene A zu den den Top Five der Araberstuten aus dem Jahrgang 2009 (insgesamt ca. 100).

Warum das Gestüt Classic Performance ihre Pferde in Warschau laufen lässt, interessiert mich? Das liegt vor allem daran, berichten Urte und Jost, dass in ganz Deutschland nur ca. 20 bis 30 Vollblutaraber auf der Trainingsliste stehen und es entsprechend, obwohl wir hervorragende Trainer haben, wenig Rennen gibt. In Warschau sind dagegen jährlich ca. 400 Vollblutaraber aus ganz Europa, Russland und Saudi Arabien im Training, und es sind für Araber knapp 250 Rennen allein auf der Warschauer Bahn ausgeschrieben. Hier messen sich die Besten und hier kann ein Vollblutaraber seine Sportlichkeit in Konkurrenz beweisen. Natürlich, so Jost, freut man sich, wenn die selbst gezüchteten Pferde vorne mitlaufen, aber letztlich ist allein die Tatsache, dass die Pferde das Renntraining gesund absolvieren, schon eine gute Leistungsselektion und eine gute Vorbereitung auf den internationalen Distanzsport.

Bei diesem Input an Zahlen überschlage ich im Kopf die Menge der Vollblutaraber in Deutschland und komme schnell zur Feststellung, dass aus deutschen Zuchten dann nur einige wenige Vollblutaraber überhaupt auf der Rennbahn zu finden sind, geschätzte 0,5 %. Jost&Urte sehen das Problem darin, dass seitens des Araberzuchtverbandes VZAP die Leistungsaraberzüchter mit einer Hinwendung zum arabischen Schaupferd unter Abkehr vom Leistungssport mit schlechten Pferdebewertungen demotiviert wurden und dadurch der Bestand der guten alten arabischen Leistungszucht gerade in Deutschland stark dezimiert ist. Dem typmäßig so veränderten Bestand versucht man seit einiger Zeit wieder Reitbarkeitskriterien anzuzüchten, wobei aber im allgemeinen Schnitt so etwas wie die „eierlegende Wollmilchsau“ entsteht. Nach Meinung von Jost&Urte wurde dabei gerade in Deutschland im Gegensatz zu fast allen andern Ländern verpasst, Spezialisierungen in der Araberzucht zuzulassen, geschweige denn zu fördern, so dass wir viel zu viele Araber in Deutschland haben, die ein bisschen schön und ein bisschen reitbar sind, aber weder im Sport zu gebrauchen sind noch auf Schaukonkurrenzen auf internationaler Ebene. Auch wenn die arabische Leistungspferdezucht erfreulicherweise in letzter Zeit erfolgreich durch ein gut organisiertes Förderungssystem des Araberzuchtverbandes ZSAA aufgefangen wird, kann die Rückkehr zu den urarabischen Leistungsgenen auf breiterer Basis nur funktionieren, wenn Züchter ihre Zuchtpferde vor dem Zuchteinsatz einer Leistungsprüfung unterziehen und sich nicht hinter Pedigrees verstecken, die das nächste Leistungspferd erst vor X Generationen ausweisen, auf das man sich dann beruft.

Unseren Rundgang beenden wir unter der Pergola bei einer Tasse Kaffee und kommen auf das Thema Hengst- und Besamungsstation zu sprechen. Wo sind denn die ganzen Hengste, die auf der Internetseite zu finden sind, stelle ich meine letzte Frage – sah ich dort doch Araberhengste mit bemerkenswerter Eigenleistung und Weltklasseabstammung. Einfach mitkommen, erwidert Jost, und wir gehen zu einem Raum, in dem 4 große Behälter stehen, die etwas reaktormäßig aussehen. Hier sind sie! Hier lagern ca. 25 internationale Leistungshengste in minus 196°C kaltem Stickstoff, hauptsächlich Vollblutaraber, aber auch einige Achal-Tekkiner, Arasier® und ein Lusitano. Erst kürzlich verließ hier unser Derbysieger Ganimed in Form von Tiefgefriersperma unser Gestüt zum russischen Gestüt Tersk, erwähnt Jost nebenbei. Das Thema Tiefgefriersperma sei international mittlerweile Standard und erleichtere das Leben ungemein. Fast alle im Stickstoff liegenden Hengste haben ihr wirkliches Zuhause mittlerweile auf der ganzen Welt, wie auch viele andere vom Gestüt in bisher 27 Länder verkaufte Pferde.

Wieder am Kaffeetisch angekommen, erblicke ich auch die nächste Generation des Gestüts in Form von Tochter Noée, 3 Jahre und auch schon „Besitzerin“ eines Pony. Als ob Urte&Jost meine Gedanken lesen können: Seitdem Noée auf der Welt ist, sind für die Kleine Pferde allgegenwärtig, schließlich beherrscht das Thema Pferd uns 7 Tage die Woche. Die Kanzlei und das Wirtschaftsjuristenbüro, in denen wir als Juristen ausschließlich im Pferderecht und Erbrecht arbeiten, das Gestüt und unser Wohnhaus befinden sich hier in der Lahnstraße, hier gibt es kein Entrinnen vor dem Pferd, so Urte und Jost lachend. Ob im zukünftigen Leben von Noée das Thema Pferd letztlich eine wesentliche Rolle spielen wird, ist uns jedoch nicht so wichtig, glücklich soll sie bleiben und das geht nun mal nur, wenn man sein Leben selbst bestimmt, mit oder ohne Pferde.

Ein schöner Abschluss, mit dem ich mich von den beiden verabschiede. Spontan kommt mir das Sprichwort „das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ in den Sinn, denn das scheint hier in der Lahnstraße 42 allgegenwärtig zu sein.

Als Nachlese zum Gestütsbericht schickten uns Jost&Urte Appel zum Redaktionsschluss noch aktuell die Info, dass bei der internationalen Veranstaltung in Weissenhorn von 120 gemeldeten Pferden insgesamt 6 aus Urte&Josts Stall stammten:

Auf der 120 km CEI2*-Strecke waren vom bulgarischen Team Ainhoa Nuivre und Carsal Hahri erfolgreich, vom österreichischen Team musste Kangoo A leider wegen eines Infekts auf halber Strecke zurückgezogen werden. Drei Halbgeschwister waren national unterwegs; die 80 km CEN-Strecke beendeten Eas El Maz unter Urte Appel und Ghanima Bint Ganimed unter Jana Schlicker erfolgreich und die 41 km Gigabyte A unter Dr. Kathy Meiss.

 


AV-Gestüt Classic Performance
Jost und Urte Appel
Lahnstraße 42
35606 Solms
Deutschland

Telefon: 0049 6442 240600
gestuet@classic-performance.de
http://www.classic-performance.de