Augen auf beim Pferdekauf

Der Distanzsport stellt hohe Anforderungen an den Partner Pferd. Was sollte ich auf der Suche nach einem „echten“ Distanzpferd beachten? 


von Nicole Weinhardt

Fast jedes Pferd kann für Distanzritte trainiert werden. Durch Ausbildung und Training meistern die verschiedensten Pferderassen kurze, mittlere und lange Distanzritte. Bei vielen Distanzreitern ist das eigene Pferd zuerst da und erst später entsteht das Interesse am Distanzreiten. Nach dem bewährten Motto „Angekommen ist gewonnen“, wird der Einstieg ins Distanzreiten mit dem vorhandenen Pferd gemeistert. Doch spätestens wenn dieses Pferd in Rente geschickt wird, steht der Wunsch nach einem „echten“ Distanzpferd an.

Araber oder Nicht-Araber?

Am Anfang des Distanzpferdekaufs stellt sich die Frage: Araber oder Nicht-Araber? Christina Gerloff, Trainer B Distanzreiten aus dem niedersächsischen Bassum findet: „Arabische Pferde haben im Distanzreiten klar die Nase vorn. Wird ein Pferd speziell als Distanzpferd angeschafft, sollte es zumindest einen guten Schuss arabisches Blut aufweisen.“ Arabische Rassen verfügen über einen leichten Körperbau, flache Muskeln, sind leichtfüßig, nicht zu groß, von Natur aus lauffreudig und ausdauernd und besitzen den nötigen Kampfgeist. Puls- und Atemwerte sind meist niedriger als bei den sogenannten Nordlandpferden. Auch die Anpassung an unterschiedliche Klimabedingungen stellt für arabische Rassen kein Problem dar. Sehr menschenbezogen finden diese Pferde Spaß daran, mit ihrem Reiter länger unterwegs zu sein. All diese Eigenschaften beschreiben das ideale Distanzpferd schon sehr gut.

Gute Abstammung erwünscht?

Viele Distanzreiter sind der Meinung, dass ein gutes Distanzpferd keine besondere Abstammung benötigt. Trainerin und Distanzreiterin Christina Gerloff findet die Abstammung trotzdem sehr wichtig und würde immer wieder ein Pferd aus Leistungslinien wählen. Carin Weiß vom Shagya-Araber Gestüt Mühlen erklärt dazu: „Bis zur Hälfte der sportlichen Veranlagung wird durch die Gene der Vorfahren ererbt. Der Rest wird durch Ausbildung und Aufzucht bestimmt.“

Artgerechte Aufzucht

„Distanzpferde sollten auf großen Weiden natürlich aufwachsen. Dazu brauchen die Pferde viel gutes Raufutter und dosiert Kraftfutter“, erzählt Siegbert Weiershäuser vom AV-Gestüt Birkenhof in Lahntal. Aus seinem Stall stammen die Kaderpferde Jaba und Sharik, mit denen seine Tochter Anna-Lena auf nationalen und internationalen Distanzritten unterwegs ist. Durch Grasen, Spielen, Bocken und Wälzen trainiert die Weidehaltung Knochen, Muskeln und Sehnen des Pferdes täglich ein bisschen mehr. In altersgemischten Herden kann das Pferd ein gutes Sozialverhalten entwickeln. Die Pferde sind ausgeglichen und leicht händelbar. „So aufgezogene Pferde sind gesunde Pferde und gute Gesundheit ist für ein Distanzpferd sehr wichtig“, weiß Siegbert Weiershäuser.

Mittlere Größe

Große und schwere Pferde weisen oft höhere Pulswerte als ihre schlanken Kollegen auf. Sie bewegen sich weniger leichtfüßig und müssen auf der Strecke mehr Eigengewicht tragen. Auch Verschleißerscheinungen können so schneller entstehen. Natürlich muss bei der Größe des Distanzpferdes trotzdem das Körpergewicht des Reiters bedacht werden. Ein schwerer Reiter ist beispielsweise auf einem zierlichen Vollblutaraber schlecht aufgehoben.

Ausbildung

Eine gute Ausbildung bildet das Fundament des Distanzpferdes. Zur Ausbildung gehört nicht nur das „Geritten sein“, sondern auch die Basisausbildung des Pferdes. Führen, Pflegen, Satteln, Verladen, Beschlagen und Tierarztuntersuchungen gehören zu seinem täglichen Leben. Von klein auf daran gewöhnt, hilft es dem Pferd, einen Distanzritt stressfrei zu absolvieren.

Augen auf: Exterieur und Interieur

Mit einer guten Beobachtungsgabe können Stärken und Schwächen des Pferdes erkannt werden. Dazu sollte das Pferd auf hartem Boden geschlossen aufgestellt und zuerst von der Seite betrachtet werden. Wirkt der Körperbau im Ganzen harmonisch? Über welche Art von Muskeln verfügt es? Dicke, kräftige Muskeln sind eher zum Dressur- oder Westernreiten geeignet, ein Langstreckenpferd hingegen benötigt lange, flache Muskeln und eine kräftige Hinterhand.

Wie wirkt die Unterhalsmuskulatur? Ist diese bereits deutlich ausgebildet und fühlt sich fest an, kann dies auf einen verspannten, nicht losgelassenen Rücken hindeuten. Der Blick hinter dem Pferd stehend zeigt, ob Kruppen- und Schultermuskeln gleichmäßig ausgebildet sind. Wird der Schweif mittig getragen?

Als nächstes sollte das Pferd in der Bewegung beobachtet werden. Bewegt es sich gleichmäßig? Hebt und senkt sich die Kruppenmuskulatur links und rechts gleichförmig? Hebt das Pferd die Gelenke auf beiden Seiten gleich hoch? Ist der Takt regelmäßig? Wer Probleme hat, dies zu erkennen, kann die Augen schließen und lauschen. Auf hartem Boden hört man das Gleichmaß des Taktes sehr gut. Spurt das Pferd mit den Hinterhufen gerade in die Spur der Vorderhufe? Setzt es seine Hufe gerade auf den Boden oder dreht es die Hufe unter Umständen beim Aufsetzen? Streifen die Beine in der Bewegung?

Ebenso sagen die Augen des Pferdes eine Menge über seinen derzeitigen Gemütszustand aus. Wie wirkt das Auge? Scheint es lebhaft, eher ruhig oder sogar in sich gekehrt? Der Reiter sollte darauf achten, ob ihm das Pferd sympathisch ist und er sich vorstellen kann, eine Beziehung zu diesem Pferd aufzubauen.

Beim Putzen kann der Reiter noch mehr über das Pferd herausfinden. Dabei sollten die Beine des Pferdes eingehender untersucht werden. Die Beine sollten klar aussehen, nicht angelaufen oder warm sein. Kräftige Gelenke sind von Vorteil. Junge Pferde sollten noch keine Gallen aufweisen. Bei älteren Pferden müssen vorhandene Gallen mit dem Tierarzt besprochen werden. Die Hufe sollten hart sein, unterschiedlich große oder steile Hufe können auf ungleichmäßige Belastung hinweisen. Sind an den Hufen Querrillen sichtbar? Beim Aufheben der Hufe kann überprüft werden, ob der Huf symmetrisch geformt ist. Liegt der Strahl mittig?

Der Rücken sollte gerade sein. Beim sanften Abtasten kann festgestellt werden, ob das Pferd bereits empfindlich reagiert, denn Rückenprobleme können auf langen Ritten schnell das „Aus“ bedeuten. Der Widerrist sollte nicht zu hoch, aber trotzdem ausgeprägt sein, damit der Sattel gut sitzt. Über rassentypische Merkmale sollte der Käufer sich vorher informieren.

Abweichungen im Exterieur sollten mit dem Tierarzt, einem Distanztrainer oder auch nur einem guten Reitfreund besprochen werden. „Exterieur ist aber nicht alles“, findet Christina Gerloff. „Ich habe schon Vollblutaraber mit Top-Abstammung und Top-Exterieur erlebt, die einfach nur Schnarchnasen waren.“ Ein gutes Langstreckenpferd benötigt Kampfgeist, Laufwillen, Unerschrockenheit und eine gewisse Härte. Trotzdem sollte es ruhig im Umgang sein. Kennt man Problemstellen im Exterieur, kann das Training darauf abgestimmt werden. Christina Gerloff empfiehlt außerdem, den Ruhepuls zu messen. „Der Ruhepuls ist genetisch festgelegt. Wenn ein untrainiertes Pferd schon einen niedrigen Ruhepuls aufweist, wird dieser wahrscheinlich auch unter Wettkampfbedingungen unten bleiben“, erklärt sie.

Proberitt

Wenn möglich sollte das zukünftige Distanzpferd mehrmals probegeritten werden. Der Reiter sollte bewusst fühlen, ob das Reitgefühl für ihn angenehm ist. Laut Christina Gerloff sollen Distanzpferde zwar Schwung mitbringen, wird der Schwung aber zu extrem, wird das Reiten anstrengend. „Dann kommt einem ein LDR plötzlich doppelt so lang vor“, lacht die Trainerin. „Ein guter Trab ist wichtig. Doch achten Sie auch auf den Galopp. Der Spitzensport hat sich gewandelt, während früher ein raumgreifender Trab alles war, braucht ein Spitzendistanzpferd heute eine erstklassige effektive Galoppade.“

Beim Proberitt sollte zuerst auf einem umzäunten Reitplatz getestet werden, ob das Pferd auf einfache Hilfen reagiert. Erst danach sollte es im Gelände getestet werden. Hat das Pferd noch keine Geländeerfahrung, kann es zumindest einige Meter vom Hof weggeführt werden. So bekommt der Käufer weitere Hinweise auf den Charakter des Pferdes.

 

Fazit: Wichtig ist, das Pferd als Ganzes im Blick zu behalten und nicht an einzelnen Abweichungen im Exterieur festzuhalten. Denn egal wie sorgfältig ein Pferd ausgewählt wurde, am Ende bleibt es eine Überraschung,  ob es sich zu einem guten Langstreckenpferd entwickeln wird.