AJAYEB – Der Tod eines Distanzpferdes

Auf dem Tisch vor mir liegt die Ausgabe 9 der Zeitschrift Cavallo. Auf Seite 10 stand ein Artikel mit der Bezeichnung „Hat der Distanzsport noch Zukunft“. Wir haben uns alle darüber aufgeregt und ich wollte darauf hin bei Cavallo anrufen und mich dafür einsetzen, dass in Zukunft über den positiven Distanzsport in Deutschland berichtet wird, so wie wir ihn kennen und betreiben, ein Sport im Einklang mit dem Partner Pferd der nichts mit den kritischen Äußerungen des Marius Tünte vom Deutschen Tierschutzbund e.V. zu tun hat. Ich wollte, dass in den Medien ein Bild vom Distanzsport gezeigt wird, wie wir ihn bei uns betreiben. Aus zeitlichen Gründen kam es zu keinem Anruf, aber die Zeitschrift lag noch vor mir als ein „to do“. Ich wollte nur noch kurz nach Samorin mit dem Ziel, dass ich hier vielleicht direkt einen positiven Artikel schreiben könnte.

Nun, ich werde die Cavallo nun ablegen und nicht bei der Motor Presse in Stuttgart anrufen, denn es ist leider kein günstiger Moment, denn es gab leider in Samorin diesen bedauernswerten „Unfall“ des Distanzpferdes Ajayeb, nach einem Bruch des rechten vorderen Sprungbeins musste es eingeschläfert werden. Wenige Zeit vorher konnte ich noch ein Foto machen, als es nach dem ersten Loop unter Sh Rashid Dalmook Al Maktoum (UAE) an erster Stelle ins Gate einlief. Jetzt ist Ajayeb tot. Ein „dummer Unfall“ der überall und jedem Pferd hätte passieren können – das mag sein, wir betreiben Sport mit Tieren und sicher kann es auch zu Unfällen, auch mit tödlichem Ende kommen. Daran wird man nichts ändern können, ausser man beendet sofort alle sportlichen Aktivitäten mit Tieren, also nicht nur den Distanzreitsport und lässt auch auf dem Oktoberfest beim Einzug der Wiesnwirte die Kutschen von Traktoren ziehen.

Leid von Tieren ist in Deutschland ein No-Go. Wir sind hier besonders sensibel und der Tod eines Tieres beim Sport, der nun letztlich durch den Mensch verursacht wurde ist das Schlimmste, was passieren darf. Aus diesem Grund gibt es auch große Unternehmen, die viele Sponsoringgelder in den Sport stecken, aber um Disziplinen, die mit Tieren zu tun haben, einen großen Bogen machen. Sollte hier etwas passieren, dann ist der Schaden im Ansehen sehr groß. Einen Unfall eines Menschen kann man eher in Kauf nehmen, da hier die Entscheidung beim Atlethen selber liegt, was er riskieren möchte und was nicht. Ja, das ist der „Knackpunkt“: Beim Marathon können wir uns so stark verausgaben, wie wir es möchten, aber beim Marathon zu Pferd kann dies nicht das Pferd entscheiden. Hier bedarf es am Feingefühl und der Erfahrung des Reiters, sein Pferd richtig einzuschätzen. Dieses ist bei um im Lande sicher hoch ausgeprägt, Ausnahmen bestätigen die Regel, doch wenn die Faktoren Ruhm und Ehre, Geld usw. ins Spiel kommen, Distanzreiten gar ein Prestigesport für ein ganzes Land wird und wenn die Reiter nicht mehr die Besitzer eines Pferdes sind, sondern Menschen, die einen guten Job machen wollen/sollen – dann wird es kritisch. Dann kann das Tier schnell zum Sportgerät verkommen.

Beim Distanzreiten gilt es, eine festgelegte Entfernung mit dem Pferd zurückzulegen. Der Sieger ist, wer die Strecke als Schnellster mit einem gesunden Pferd zurücklegt. Der Gesundheitszustand des Pferdes wird auf der Strecke und im Ziel sehr genau durch Tierärzte kontrolliert und bescheinigt. Doch wieviele Ritte ein Pferd in seinem Leben gehen muss/darf, wieviele Kilometer ein Pferd in seinem Leben gehen muss/darf, darüber gibt es keine Vorschriften. Es gibt auch keine Vorschriften darüber, wie schnell ein Pferd geritten werden darf, Hauptsache, das Pferd kommt unbeschadet durch den Ritt. Wo ist die Grenze – wer mag das sagen. In Deutschland gibt es zahlreiche „Kilometersammler“ mit vielen tausend Kilometern (meist bei moderaten Geschwindigkeiten) in der Wertung – es geht und es scheint den Pferden nicht so sehr zu schaden (allerdings gibt es hier keine offiziellen Auswertungen, die ich kenne). Im Spitzensport hingegen bekommen wir leider immer wieder diese Meldungen von überlasteten und leider auch toten Pferden. Der Spitzensport und der internationale Vergleich bei CEIs, auf Europa- und Weltmeisterschaften sind wichtig, aber die „Spielregeln“ müssen hier stimmen. Die Stellschrauben müssen gedreht werden, damit auch hier keine Tiere zu schaden kommen und das ist derzeit noch nicht der Fall.

Was bedeutet ein totes Distanzpferd? Es bedeutet, dass hier Tiere durch Menschenhand zu Tode kommen und das möchten wir nicht. Wir möchten einen sauberen Sport und einen internationalen Vergleich unter akzeptablen internationalen gleichen pferdeschonenden Bedingungen, denn sonst hat der internationale Distanzsport wirklich keine Zukunft mehr und eine Teilnahme an einer solchen Veranstaltung wird zur sinnlosen Farce. Ein totes Distanzpferd schadet allen, dem Besitzer, der sein Pferd verloren hat, dem Reiter dem sicher keine Ehre zukommt, dem Veranstalter, dessen Veranstaltung in ein schlechtes Licht gerät (wie zu unrecht in Samorin), den erfolgreichen Teilnehmern der Veranstaltung (Ursula Klingbeil und Melanie Mannherz bekommen nicht annähernd die Resonanz für die vollbrachte Leistung, da Ajayeb die sozialen Medien einnimmt), dem Ansehen des Distanzsport im Allgemeinen und letztlich jedem Distanzreiter, der in seinem Stall den Distanzsport rechtfertigen muss, obwohl er der größte Tierfreund ist und alles richtig macht und sich schon schlecht fühlt, wenn er mit seinem Hund zu lange Gassi geht.

Was kann verändert werden? Vieles! Die Stellschrauben heißen: max. Ritte je Pferd/Jahr, Höchstgeschwindigkeit auf Ritten, Pulswert/Recovery-Time, Streckenführung, …. Dass Doping etc. nichts mit Sport zu tun hat sollte sowieso klar sein, oder? …

Was können die einzelnen Distanzreiter nach dem Vorfall Ajayeb machen? Wir können die Spielregeln nicht aktiv ändern aber wir können unsere Meinung kundtun. Wir können ein Zeichen setzen, dass wir in Deutschland keinen weiteren Ajayeb tot erleben möchten. Wir könnten, z.B. auf der Jahreshauptversammlung des VDD eine gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Distanzreitsports erarbeiten und an die offiziellen Stellen weiterleiten um dort zu zeigen, dass wir Handlungen erwarten.

Was wir nicht machen sollten ist, schweigen und aussitzen mit der Hoffnung dass sich die Wellen der Empörung wieder legen, das hat noch nie Erfolg gebracht (siehe Politik). Aus diesem Grunde auch dieser Beitrag, der dem Distanzreitsport nicht schaden möchte, auch wenn er ein sensibles Thema behandelt, sondern ein Schritt sein soll, etwas zu ändern. Verschweigen kann man den Tod von Ajayeb sowie so nicht, es ist Thema auf der ganzen Welt, da hilft auch keine Plane als Sichtschutz….

 

 

 


Ajayeb

Geburt: 01.01.2001
Tod: 17.09.2016

Sex: Stute
Farbe: Fuchs

Besitzer:
21/05/2009: Leonardo Ricci, Italy
26/04/2012: Emirates Stables, United Arab Emirates
22/09/2015: AL AASFA OVERSEAS LTD., British Virgin Islands
03/11/2015: MRM Stables, United Arab Emirates

 

2016-09-ajayeb

Ajayeb unter Sh Rashid Dalmook Al Maktoum (UAE), führend nach dem ersten 40 km-Loop von Samorin, Foto: Christian Lüke

 

Rittliste des ehemalig erfolgreichen Distanzpferdes Ajayeb:

17/09/2016:
Samorin CEI*** 160 km unter Sh Rashid Dalmook Al Maktoum (UAE) (TOD)

13/08/2016:
1. Platz: Euston Park CEI** 120 km unter Sh Rashid Dalmook Al Maktoum (UAE) (04:36:42, 26,02 km/h)

18/02/2016:
1. Platz: Dubai Gamilati Endurance Cup for Mares 120 km (27,05 km/h)

09/01/2016:
1. Platz: Dubai CEI***Ü 160 km Hamdan Bin Mohd Al Maktoum (UAE) (06:32:50, 24,44 km/h)

17/12/2015:
1. Platz: Dubai 120 km (24,8 km/h)

07/12/2015:
1. Platz: Dubai 120 km unter Sh Rashid Dalmook Al Maktoum (UAE) (04:50:52, 24,75 km/h)

11/09/2015:
1. Platz: Samorin CH-EU-E 160 km unter Jaume Punti Dachs (ESP) (07:05:13, 22,58 km/h)

23/06/2014:
1. Platz: Tarbes CEI*** 160 km unter Kamila Kart (POL) 08:53:53, 17,98 km/h)

23/05/2014:
Compiègne CEIO*** 160 km unter Alejandra Dachs Izquierdo (ESP) (Gate 3 RET)

07/02/2013:
1. Platz: Dubai CEI** 120 km unter Kamila Kart (POL) (04:10:56, 28,69 km/h)

15/06/2012:
Numana CEI*** 160 km unter Sh Rashid Dalmook Al Maktoum (UAE) (Gate 1 EL)

09/03/2012:
3. Platz: Dubai CEI*** 160 km unter Mohd Bin Rashid Al Maktoum (UAE) (07:24:42, 21,59 km/h)

08/02/2012:
2. Platz: Dubai CEI** 120 km unter Kamila Kart (POL) (04:33:22, 26,34 km/h)

14/05/2010:
2. Platz: Montechiarugolo CEI** 120 km unter Leonardo Ricci (ITA) (06:25:21, 18,68 km/h)

04/07/2009:
Gubbio, Perugia CEI** 120 km unter Leonardo Ricci (ITA) (Gate 4 la, 14,82 km/h)

18/04/2009:
4. Platz: Parrano CEI* 80 km unter Leonardo Ricci (ITA) (04:21:07, 18,61 km/h)


Augenzeugenbericht des Unfalls:

Caroline Brauer

Hier mein Bericht aus Samorin – ich gebe mir Mühe das Gesehene emotionslos wiederzugeben:
Wir (sechs Personen, davon fünf Hobbydistanzreiter aus D) standen bei Crew Punkt 2 als die Spitzgruppe bestehend aus Nr. 71, Nr. 132 und Nr. 17 (in dieser Reihenfolge) an der südl. Deichseite angaloppiert kam. Der Abstand zwischen den Pferden betrug jeweils ca. 2 Pferdelängen. Tempo muss so um die 24 km/h gewesen sein. Die Pferde hatten hier 135 km auf der Uhr, 4. Loop (yellow) bei 25 km. Das Kommen der Truppe konnte man schon von Weitem erkennen, da sie von einem Helikopter sowie ca. 5 Autos, die oben auf dem Deich fuhren begleitet wurde. In den Autos waren u.a. Kameraleute, die von arabisch aussehenden Männern gelotst wurden. Ein paar Offizielle waren noch dabei, den Rest konnte ich nicht zuordnen. Als dieses Geschwader sich näherte, bin ich dichter an die Reitstrecke gegangen, da ich zu sehen erhoffte, wie die Pferde beschlagen sind. An diesem Crew Punkt lagen mittlerweile schon reichlich Flaschen, Trossbedarf wurde irgendwie ziemlich planlos in die Strecke hinein abgelegt.
Die Reiter kamen an, Nr. 71 vorne drosselte das Tempo evtl. um Wasserflaschen anzunehmen. Dadurch ritten Nr. 132 und Nr. 17 dichter auf, was dem Pferd Nr. 17 die Sicht auf den Boden vor ihm nahm. Nr. 132 wich den am Boden liegenden Flaschen leicht nach links aus. Pferd Nr. 17 sah plötzlich die leeren Flaschen vor sich auftauchenund bremste etwas ab (kein Vollstop sondern von 24 auf evtl. 18 km/h) um dann in einem, für mich sehr unkoordinierten Schritt mitten in den Flaschenhaufen (ca. 5-6 leere Flaschen) zu treten, die aber seitlich wegflogen bzw. nachgaben. Das Pferd rutschte nicht. Beim Auftreten vorne rechts brach das Pferde ein (ui, nicht gut dachte ich), fing sich, brach wieder ein (ui, ui, ui) und beim nächsten Auftreten stand das Bein Höhe Mitte Röhrbein seitlich ab, der Knochen guckte raus. Das Bein hing quasi nur noch an Haut und Sehnen.
Mir sind diese Bilder seit dem immer immer wieder durch den Kopf gegangen und ich komme für mich zu dem Schluss, dass das Bein schon beim leichten Abbremsen vor den Flaschen (an-)gebrochen sein muss, das Pferd dadurch nicht mehr koordiniert den Flaschen ausweichen konnte. Die Flaschen waren nicht der Grund (auch wenn es da säuisch ausgesehen hat). Aus meiner Sicht handelt es sich hier um einen Ermüdungsbruch und nicht um einen Unfall im eigentlichen Sinne.
Was dann folgte:Reiter runter vom Pferd, Laibchen ausziehen, Pferd umringt von zahllosen, meist arabischen Trossern, Kameraleute und Zuschauer wurden weggeschickt (No Camera! no Foto! go away, go away!!). Wir und einige andere haben uns geweigert die Szene zu verlassen, nicht weil Schaulustige sind, sondern weil wir Zeugen sein wollten.
Es kam zu Tumulten, es wurde geschrien und gedroht. Auch die Stewards wollten uns wegschicken, haben es aber schnell eingesehen, dass das so nicht klappt. Innerhalb kurzer Zeit (max. 1 Minute) hat ein Trosser aus einem Müllbeutel eine große weiße Plane gezogen, mit der dann der Blick auf das Pferd unterbunden wurde. Wer vor Ort war weiß, dass die Trossfahrzeuge zu weit weg standen, um von dort in der kurzen Zeit eine Plane zu organisieren. Weitere weiße Planen wurden dann noch um das Pferd gehalten. Wo die her kamen, weiß ich nicht. Irgendwann hat sich das Pferd nochmal losgerissen und „rannte“ ca. 15 m weiter, bis es wieder unter Kontrolle kam. Dann kam das Horse-Rescue-Gespann an, wo es wieder zu Tumulten kam. Das Pferd wurde wohl erst sediert, ein wenig später kam Martin Grell dazu, der sich dann der Sache annahm. Es dauerte eine gefühlteEwigkeit, bis sich das Pferd abgelegt hatte und letztendlich tot per Seilwinde in den Hänger gezogen wurde.
Ich bin sehr froh, dass ich nicht alleine unterwegs war und das Gesehene mit den anderen austauschen konnte. Im Gespräch wurde klar, dass ich ungewollt von etwas Augenzeuge wurde, was viele andere dort im Gewusel wohl so nicht wahrgenommen haben.