Die Weidesaison steht vor der Tür – was gilt es zu beachten?

Alle Jahre wieder: Die Wintersaison ist vorbei, das erste zarte Grün lockt… Doch Vorsicht – die abrupte Futterumstellung von struktur- und rohfaserreichem Heu auf wasser- und zuckerhaltiges Gras birgt Risiken.

 

von Monika Berghaus

Wegen der im Frühjahr auf Grund der Witterung erhöhten Fruktangehalt Pferde nie auf kurzem Gras anweiden lassen –  die Aufwuchshöhe sollte flächendeckend mind. 10-15 cm betragen.

Wegen der im Frühjahr auf Grund der Witterung erhöhten Fruktangehalt Pferde nie auf kurzem Gras anweiden lassen – die Aufwuchshöhe sollte flächendeckend mind. 10-15 cm betragen.

 

Die Gefahr von Verdauungsstörungen und Hufrehe im Zusammenhang mit dem Beginn der Weidesaison ist zwar weitläufig bekannt, trotzdem werden entscheidende Maßnahmen beim Anweiden heute nicht mehr ausreichend beachtet, sei es auf Grund von mangelndem Wissen oder mangelnder Zeit. Dabei ist es sehr wichtig, die Dickdarmflora erst langsam an die neue Futtergrundlage zu gewöhnen, um die Pferde gesund durch die Futterumstellung zu bekommen.

Von Fruktanen und Mikroben

Erst vor wenigen Jahren wurde entdeckt, dass die sogenannten Fruktane – eine Speicherform von Zucker als Energiereserve in den Grashalmen – als ein Auslöser für Hufrehe und Koliken verantwortlich sind und nicht wie lange geglaubt, das Eiweiß im jungen Grasaufwuchs. Die Art und Sorte der Gräser ist dabei ausschlaggebend für das Zuckerspeichervermögen: die bei uns auf Weiden vorherrschenden Gräser sind das deutsche Weidelgras und der Wiesenschwingel. Beides Gräser, die sehr viel Zucker speichern können und deshalb als Hochleistungsfutter für Milchkühe dienen. Aber auch die Witterungsbedingungen, speziell die Umgebungstemperatur und die Sonneneinstrahlung , spielen eine bedeutende Rolle bei der Bildung von Fruktanen. Ist es nachts kalt und scheint tagsüber die Sonne, wird besonders viel Zucker eingelagert – die Rehegefahr steigt! Warum ist aber der Zucker das Problem?

 

Besondere Vorsicht beim Anweiden ist bei Pferden geboten die schon einmal eine Hufrehe hatten, eine Stoffwechselerkrankung haben und bei leichtfuttrigen Rassen (z.B. Ponys).

Besondere Vorsicht beim Anweiden ist bei Pferden geboten die schon einmal eine Hufrehe hatten, eine Stoffwechselerkrankung haben und bei leichtfuttrigen Rassen (z.B. Ponys).

 

Das komplette Verdauungssystem der Pferde ist auf eine rohfaser- und strukturreiche Ernährung ausgelegt und kann Fette, Stärke sowie Zucker nur mit Hilfe von körpereigenen Enzymen aus Leber und Bauchspeicheldrüse verdauen. Da die Dünndarmpassage relativ kurz ist – die Nahrung verbleibt nur etwa 1-1,5 Stunden im Dünndarm – steht der enzymatischen Verdauung nur ein begrenztes Zeitfenster zur Verfügung. Enthält das Futter also große Mengen an Zucker und Stärke, gelangt immer ein Teil unverdaut in den Dickdarm, was enorme Auswirkungen auf die dort angesiedelten Mikroben hat. Zusätzlich wird beim Abbau von Zuckern und Stärke (Kohlenhydrate) Milchsäure gebildet, die dann ebenfalls in den Dickdarm gelangt und dort den pH-Wert absenkt.

Die Folge ist ein Absterben der Dickdarmbakterien, die einen bestimmten pH-Wert Bereich zum Überleben benötigen und die auf die Zufuhr von rohfaserreichem Nährsubstrat angewiesen sind. Sterben diese für die Rohfaser-Verdauung wichtigen Bakterien ab, wird der Körper mit Endotoxinen – dem „Leichengift“ der Bakterien – überflutet. Die Überflutung des Körpers mit den Endotoxinen der abgestorbenen Mikroben führt dann zur – zu Recht gefürchteten – Hufrehe. Zudem kann der Darm nun von anderen, gegebenenfalls schädlichen, Bakterien besiedelt werden, die sich auf die frei gewordenen Plätze der abgestorbenen Bakterien setzen. Das kann im Folgeverlauf zu weiteren Problemen mit der Verdauung führen. Ist die Mikroflora des Darms erst geschädigt, kann es bis zu 18 Monate dauern, bis sich diese erneuert und vollständig erholt hat.

Koliken auf Grund von Verdauungsstörungen bei einem Futterwechsel sind ebenfalls keine Seltenheit. Weniger bekannt ist, dass ein abrupter Futterwechsel auch zu Leberproblemen führen kann. Dementsprechend spät werden diese erkannt und ggf. mit anderen Auslösern in Zusammenhang gebracht oder sie bleiben zeitlebens unentdeckt.

 

Vor dem Weidegang ausreichend Heu füttern und dabei auf gute Heuqualität achten!

Vor dem Weidegang ausreichend Heu füttern und dabei auf gute Heuqualität achten!

 

Die Regeln zum Anweiden

Möchte man diese Probleme vermeiden, sollte man sich an die bereits bewährten Regeln zum Anweiden von Pferden halten:

1. Langsam und schrittweise anfangen! 

Das Pferd anfänglich erst ein paar Minuten an der Hand grasen lassen, die Dauer dabei täglich steigern, erst dann stundenweise auf die Weide lassen. Punkt 5 beachten!

2. Ausreichend Heu vor dem Weidegang füttern!

Vor dem Weidegang dem Pferd qualitätvolles, strukturreiches Heu vorlegen. Nie ein Pferd mit leerem Magen auf das frische Grün lassen.

3. Kein Kraftfutter!

Auf die Gabe von Kraftfutter vor dem Weidegang verzichten. Kraftfutter enthält viel Stärke, ggf. auch Zucker und Öle – bei der Verdauung dieser Futterbestandteile entsteht Milchsäure, die den pH-Wert im Dickdarm absenkt.

4. Die Aufwuchshöhe berücksichtigen!

Die Pferde erst auf die Weide lassen wenn das Gras einen Aufwuchs von 10-15 cm aufweist – und zwar flächendeckend. Pferde im Frühjahr nicht auf kurzem Gras anweiden, da kurzes Gras besonders viel Fruktan enthalten kann, vor allem wenn die Grasnarbe gestresst ist (Stressfaktoren können sein: Wetterschwankungen, Überweidung, Trockenheit, Frost, mangelnde Nährstoffe, usw.). Viele Halter – insbesondere von rehegefährdeten Pferden – lassen ihre Pferde nur auf abgefressene Weiden, weil sie noch immer der Meinung sind, allein die Menge des aufgenommenen Grases ist ausschlaggebend. Das stimmt leider nicht, denn der Fruktangehalt ist dabei ebenfalls zu berücksichtigen und der ist auf kurzem Gras bei bestimmter Witterung konzentrierter. Trotzdem ist die Menge des aufgenommenen Grases von Bedeutung. Ein Patentrezept gibt es leider nicht, da viele Einflussfaktoren eine Rolle spielen. Der Einsatz eines speziellen Maulkorbs zur Begrenzung der aufgenommenen Grasmenge ist sicherlich sinnvoller als die Tiere auf kurzes Gras zu stellen.

5. Regelmäßige Kontrolle des abgesetzten Kots!

Bei Verdauungsstörungen, z.B. breiiger Kot, Absatz von viel Kotwasser, den Weidegang reduzieren und Heu zu füttern.

Bei vorbelasteten Pferden und leichtfuttrigen Rassen (z.B. Ponies) gilt es, besondere Vorsicht walten zu lassen, gerade hinsichtlich des Fruktangehaltes in den Grashalmen. Pferde, die schon mal eine Hufrehe hatten und Pferde mit Stoffwechselerkrankungen, sollten bei bestimmten Witterungsbedingungen gar nicht erst auf die Weide gelassen werden. Gerade bei dieser Gruppe ist auch immer die Tageszeit zu berücksichtigen: Gräser bilden am Nachmittag, bei höchster Sonneneinstrahlung in Kombination mit Nachttemperaturen unter 5°C besonders viel Fruktan.

Sollte das Pferd einige Tage nicht auf die Weide können – sei es aus witterungsbedingten oder Krankheitsgründen – muss es wieder vorsichtig angeweidet werden.

 

Verdauungsprobleme lassen sich leicht am abgesetzten Kot anhand der Form und Farbe erkennen.

Verdauungsprobleme lassen sich leicht am abgesetzten Kot anhand der Form und Farbe erkennen.

 

Was kann noch getan werden, um das Anweiden im Frühjahr zu erleichtern?

Bereits im Vorfeld können einige wenige Punkte beachtet werden, die dazu führen, das Risiko einer Rehe und von Verdauungsstörungen speziell beim Anweiden zu reduzieren.  Füttert man sein Pferd dem Verdauungssystem angepasst, erhält man so eine stabile Darmflora aufrecht, die dann auch dabei hilft, Futterwechsel leichter zu verkraften. Eine an das Verdauungssystem angepasste Fütterung bedeutet wenig Stärke, Zucker und Öle – dafür mehr Raufutter. Stroh ist als Heuersatz ungeeignet, da es einen hohen Lignin-Anteil enthält und nicht im Dickdarm verdaut werden kann. Benötigt das Pferd Leistungsfutter, ist auf einen hohen Haferanteil und einen geringen Gersten- und Maisanteil zu achten, da Hafer besser verdaulich ist. Hilfreich im Hinblick auf das Anweiden im Frühjahr ist auch die Fütterung von Saftfutter (z.B. Möhren und Äpfel) im Winterhalbjahr.

Der Einsatz von Saatmischungen für die Pferdeweide mit einem hohen Anteil zuckerarmer Gräser, z.B. Wiesenfuchsschwanz, Rotschwingel und Wiesenlieschgras zahlt sich nicht nur beim Anweiden aus. Empfehlungen geben hier die Landwirtschaftskammern der einzelnen Bundesländer.

Generell gilt bei einem Futterwechsel: über mindestens eine Woche den Anteil des „alten“ Futters verringern und den Anteil des „neuen“ Futters erhöhen. So hat der Verdauungstrakt Zeit, sich an das neue Futter zu gewöhnen und es wird nur in Ausnahmefällen zu Problemen kommen.

Zusammenfassend die wichtigsten Punkte:

  • Das Pferd ist bedingt durch den Aufbau des Verdauungssystems nicht in der Lage, große Mengen an Stärke, Zucker und Fetten zu verdauen. Im Gegenteil: durch den Abbau von Stärke und Zuckern entsteht Milchsäure und es gelangen unverdaute Nahrungsbestandteile in den Dickdarm. Beides wirkt sich negativ auf die Mikroflora im Blind- und Dickdarm aus – nützliche Mikroben sterben ab und setzen dabei Endotoxine frei.
  • Gräser enthalten Fruktane, die Hufrehe und Verdauungsstörungen auslösen können. Fruktane werden in Abhängigkeit von der Witterung eingelagert: die Rehegefahr ist somit nicht nur ausschließlich im Frühjahr im Zusammenhang mit dem Anweiden gegeben, sondern auch im Herbst.
  • Anweideregeln befolgen und besondere Vorsicht bei vorbelasteten Pferden walten lassen! 
  • Futterumstellungen grundsätzlich nur langsam und schrittweise über mindestens eine Woche! Auf Verdauungsstörungen achten.
  • Eine sachgerechte, möglichst natürliche Fütterung sorgt für eine stabile Darmmikroflora, die dann auch mal einen Futterwechsel verkraften kann. 

 


Info Fruktane

Als Fruktane wird eine Gruppe von wasserlöslichen Polysacchariden (Mehrfachzucker) bezeichnet, die als Produkte der Photosynthese aus Saccharose gebildet werden und die den Pflanzen als Energiereserve für Wachstum und Stoffwechsel dienen. Die Bildung von Fruktanen in den Gräsern wird durch mehrere Faktoren beeinflusst: Grasart und -sorte, Jahreszeit, Vegetationsperiode, Klima, Sonneneinstrahlung, Tageszeit und Weidemanagement. Fallen die Nachttemperaturen unter die 5°C-Marke und ist es tagsüber sonnig, speichert das Gras die aus der Photosynthese gewonnene Energie als Fruktan im Halm. Diese  Witterungsbedingung ist in unseren Breiten im Frühjahr und Herbst zu beobachten. Während der Blüten- und Samenbildung wird die Energie direkt umgesetzt, es wird kein oder nur wenig Fruktan gebildet. Bei bedecktem Himmel wird auf Grund der beschränkten Photosyntheserate auch nur wenig Fruktan gebildet.