Marathon zu Pferd – Glück durch Leid?

„Hundert Kilometer oder mehr reiten – ist das nicht schrecklich? Das dauert ja ewig und ist fürchterlich anstrengend! Oder nicht? Ist Distanzreiten Quälerei?“

 

Silke Behling: Es macht mir Spaß, mit meinem Pferd lange Strecken zu reiten und neue Landschaften kennen zu lernen. Distanzreiten bedeutet für mich „Eins sein mit dem Pferd, kilometerlang“.

Silke Behling: Es macht mir Spaß, mit meinem Pferd lange Strecken zu reiten und neue Landschaften kennen zu lernen.
Distanzreiten bedeutet für mich „Eins sein mit dem Pferd, kilometerlang“.

 

von Silke Behling

Wenn ein Distanzreiter erzählt, was er an einem Wettkampfwochenende so macht, begegnet er entgeisterten Menschen: „Hundert Kilometer? Reitet ihr das alles an einem Tag? Das arme Pferd!“ oder: „Da tut einem sicher alles weh! Das ist ja fürchterlich!“, sind die üblichen Ausrufe.

Ist es das wirklich? Ist Distanzreiten Quälerei oder macht es sogar Spaß? Ist es Glück durch Leid? Geht es uns Distanzreitern vielleicht sogar wie den Läufern, von denen man sagt, dass sie irgendwann einen grandiosen Glücksmoment erleben?

Körperbelastung erhöht den Umsatz von Serotonin und sorgt damit für Glücksgefühle oder zumindest für ein positives Grundgefühl. Glücklich durch Ausdauersport?

Marathonläufer müssen für den so genannten „Runner’s High“ wirklich viel laufen und dabei immer wieder an ihre Grenzen stoßen. So groß ist die Belastung für uns Reiter beim Distanzreiten wohl nicht. Oder müssen wir uns ähnlich quälen?

Als ich mir über diesen Artikel Gedanken gemacht habe, stellte ich mir selbst die Frage, ob Distanzreiten für mich selbst Glück oder Quälerei bedeutet. Meine Antwort ist spontan ganz eindeutig: Es macht mir Spaß, mit meinem Pferd lange Strecken zu reiten und neue Landschaften kennen zu lernen. Distanzreiten bedeutet für mich „Eins sein mit dem Pferd, kilometerlang“.

 

Leiden unterwegs?

Aber bei längerem Nachdenken fallen mir natürlich auch Momente ein, die weniger schön sind oder waren: Ein 80-Kilometerritt, bei dem 3-mal die gleiche Strecke geritten wurde, bei 35 Grad im Schatten, immer wieder der gleich lange Berg … Irgendwann habe ich durchpariert, meine Hände auf den Mähnenkamm gestützt und meinem Pferd gesagt, dass ich keine Lust mehr hätte. Es scheint mich nicht verstanden zu haben, denn als es flacher wurde, ist es wieder angaloppiert und hat mich brav zu meinem Trosser getragen. So ein Mensch mit einer Flasche Apfelsaftschorle kann in solchen Momenten schon sehr erbauend wirken! Aber ich gebe zu, der Moment, als ich diesen Berg ein drittes Mal reiten musste, da war ich nicht ganz so glücklich …

 

Katharina Dorn

Katharina Dorn: Das Distanzreiten bedeutet für sie eindeutig Glück: „Wenn es für mich Quälerei wäre, dann bräuchte ich es ja nicht zu machen

 

Selbst verschuldetes Leid

Auch schlecht sitzende Ausrüstungsgegenstände wie falsche Steigbügel machen das Reiten auf Distanzen manchmal zur Qual. Ich werde sicher den eigentlich eher kurzen Ritt mit der Haflingerstute meines Lebensgefährten nie vergessen, auf dem ich, nach einem unfreiwillig schnellen Massenstart, auf den ersten 20 Kilometern mit der nicht funktionierenden Bremse des Haflingers kämpfte und meine Füße in die für mich völlig ungewohnten neuen Steigbügel stemmte. Meine Waden- und Schienbeine brannten nach 10 Kilometern dermaßen, dass ich überlegt habe, lieber abzusteigen! Aber wie, wenn doch die Wadenmuskulatur so brennt? Außerdem hatte ich ernsthaft den Eindruck, dass Frau Haflinger dann einfach ohne mich weiter rasen würde. Also blieb ich mit zusammengebissenen Zähnen oben und orderte mit Hilfe des Handys einen Umbau des Sattels im nächsten Stopp.

Den Fehler mit neuen oder ungewohnten Ausrüstungsteilen zu reiten, muss wohl jeder selbst einmal gemacht haben. Ich habe zumindest auf diesem Ritt wirklich gelitten – und wenn ich ehrlich bin, auch noch zwei Wochen danach …

(Wir haben es übrigens problemlos bis ins Ziel geschafft, lahm war nur ich, nicht das Pferd!)

 

Glück im Ziel

Auch wenn ich mich bei dem oben genannten Ritt über das Ziel gefreut habe, die Glücksmomente nach dem Zieleinlauf waren für mich immer dann am intensivsten, wenn auch der Ritt unterwegs Spaß gemacht hat. Strecken, die wie im Fluge vergingen, weil sie landschaftlich wunderschön waren, ein topfittes, munteres Pferd, eine nette Begleitung mit passendem Ritttempo – das sind die Wettkämpfe, die ich mit mindestens zwei Tage andauerndem Grinsen beende. Das Glück ist also am größten, wenn ich vorher nicht leiden musste und nicht einfach nur erleichtert bin, durchgekommen zu sein, weil auf dem Ritt vorher irgendetwas nicht gepasst hat.

 

Langes Leiden?

Wie ergeht es anderen? Mirja Rößner ist dieses Jahr mit ihrem Tinkerpony Peggy auf ihrem ersten Hundertmeiler gestartet und saß inklusive Pausen fast 22 Stunden im Sattel. Es war keine Quälerei, im Gegenteil: „Ich habe mich nach dem Ritt gefühlt wie ein siamesischer Zwilling. Ich mochte mich gar nicht von meinem Pony trennen. Wir waren zu einer Einheit geworden!“ Mirja hat übrigens auch hinterher nicht gelitten, sie hatte nämlich entgegen aller Vermutungen von Nicht-Distanzlern keinen Muskelkater.

„Das einzige, was ich als quälend empfand, waren längere Schrittphasen“, erzählt die Langstreckenreiterin aus dem Wendland. „Wenn man zum Beispiel wegen des tiefen Bodens kilometerlang Schritt reitet, dann geht es gar nicht vorwärts. Das ist im Kopf Quälerei!“ Doch diese währt in der Regel nicht lange: „Diese Momente werden von Phasen des Glücks abgelöst, wenn man seine Trosser sieht oder von einem der Tierärzte ein Lob für sein fittes Pferd erhält!“ Oder nach 20 Jahren Vegetarier-Dasein, bei Kilometer 140 herzhaft in ein Puten-Steak aus Vidas Händen beißt und sich über den „Eiweiß-Schock“ freut!

 

Annette Schwartze, die zweimalige Jugendmeisterin (2006 und 2007), gehört zu den wenigen Reitern, die sich auch schon mal ohne Pferd auf die Strecke gewagt haben. „Ich bin schon mal einen Marathon gelaufen, ich wollte wissen, wie sich das anfühlt.“ Aber mit Pferd hat sie sich deutlich wohler gefühlt: „Die letzten 25 Kilometer waren hart, mir tat alles weh!“

Annette Schwartze, die zweimalige Jugendmeisterin (2006 und 2007), gehört zu den wenigen Reitern, die sich auch schon mal ohne Pferd auf die Strecke gewagt haben. „Ich bin schon mal einen Marathon gelaufen, ich wollte wissen, wie sich das anfühlt.“ Aber mit Pferd hat sie sich deutlich wohler gefühlt: „Die letzten 25 Kilometer waren hart, mir tat alles weh!“

 

Glück durch Trosser

Die Trosser, die Mirja auf den 160 Kilometern in der Heide den Wettkampf erleichtert haben, zählen auch für Katharina Dorn aus Rottweil zu den Glücksmomenten, wenn es einmal zäh wird. So zum Beispiel auf Kathis erstem Hundertmeiler in Babolna: „Wir hatten vor dem Start meine Bügellänge verstellt und ich bekam unglaubliche Knieschmerzen! Aber Quälerei war das Reiten trotzdem nicht: Meine Trosser haben auf der Straße getanzt und wir hatten unglaublich viel Spaß!“ Kathi ist keine „typische“ Distanzreiterin – hat sie doch durchaus auch Ambitionen in den anderen Disziplinen: „Ich springe gern und reite auch Dressur.“ Und das Distanzreiten bedeutet für sie eindeutig Glück: „Wenn es für mich Quälerei wäre, dann bräuchte ich es ja nicht zu machen!“

 

Glück mit Pferd

Auch Annette Schwartze gibt an, gerne Distanzen zu reiten. Die Warendorferin ist erst 20 Jahre alt, aber auf der Strecke gehört sie zu den alten Hasen. Sie startet seit 2002 auf Wettkämpfen und Distanzreiten bedeutet für sie eindeutig Glück: „Ich finde es toll, auf das Pferd einzugehen, auf das Pferd zu hören und das Tempo einzuteilen“, meint sie und formuliert damit etwas, was für viele von uns wohl die Faszination Distanzreiten ausmacht, die Gemeinsamkeit mit dem Pferd.

Quälerei ist Distanzreiten für sie dann, wenn jemand nicht auf sein Pferd achtet. „Man muss seinem Pferd nach dem Ritt noch in die Augen sehen können!“ Und das liegt natürlich an jedem Reiter selbst: „Distanzreiten ist das, was man daraus macht.“

 

Mirja Rößner ist dieses Jahr mit ihrem Tinkerpony Peggy auf ihrem ersten Hundertmeiler gestartet. Es war keine Quälerei, im Gegenteil: „Ich habe mich nach dem Ritt gefühlt wie ein siamesischer Zwilling. Wir waren zu einer Einheit geworden!“ Foto: Julia Brüssow

Mirja Rößner ist dieses Jahr mit ihrem Tinkerpony Peggy auf ihrem ersten Hundertmeiler gestartet. Es war keine Quälerei, im Gegenteil: „Ich habe mich nach dem Ritt gefühlt wie ein siamesischer Zwilling. Wir waren zu einer Einheit geworden!“ Foto: Julia Brüssow

 

Glück ohne Pferd?

Annette, die zweimalige Jugendmeisterin (2006 und 2007), gehört zu den wenigen Reitern, die sich auch schon mal ohne Pferd auf die Strecke gewagt haben. „Ich bin schon mal einen Marathon gelaufen, ich wollte wissen, wie sich das anfühlt“. Aber mit Pferd hat sie sich deutlich wohler gefühlt: „Die letzten 25 Kilometer waren hart, mir tat alles weh!“

Damit ist sie sicher nicht weniger fit, als die meisten anderen Distanzreiter. Wer von uns macht schon wirklich regelmäßig Ausgleichssport? Für viele bleibt neben der Berufstätigkeit und der Stallarbeit dazu gar keine Zeit – und so geben viele an, dass ihr „Sport“ das tägliche Versorgen der Pferde sei.

 

Gesundes Pferd?

Zähe Momente, in denen es nicht richtig voran geht, hatten aber nicht nur Mirja und Peggy in der Heide in den Schrittphasen, auch Annette findet manche Teile des Wettkampfes nicht immer spannend: „Die ersten Kilometer sind manchmal langweilig – aufregend wird es erst gegen Ende.“ Schlimmer als Langweile ist es allerdings, wenn der Partner Pferd nicht völlig okay zu sein scheint: „Schrecklich finde ich, wenn man das Gefühl hat, das mit dem Pferd etwas nicht stimmt, und das nächste Vetgate ist noch weit. Dann ist es ein wahrer Glücksmoment, wenn die Trosser in Sicht kommen und bestätigen, dass doch alles in Ordnung ist oder der Tierarzt in der nächsten Kontrolle sein Okay gibt.“ Diesen Moment empfinden wohl alle Distanzreiter gleich: Das „Okay“ für die nächste Runde zu bekommen, vielleicht noch ein Lob für den guten Zustand des Pferdes zu erhalten, das ist Glück.

 

Gequältes Pferd?

Aber geht das überhaupt? Oder sind lange Distanzritte immer auch eine Quälerei für das Pferd?

Für Annette ist es Quälerei, wenn der Reiter nicht auf sein Pferd achtet. FEI-Tierärztin Martina Zink sieht das ähnlich: „Ein gut vorbereitetes Pferd, das auf der Strecke gut gemanaget und gut geritten wird, kann durchaus lange Wettkämpfe laufen. Anstrengend ist das für das Pferd natürlich auf alle Fälle.“ Und Martina weist noch darauf hin: „Umgekehrt ist es natürlich Quälerei, wenn man nicht auf sein Pferd achtet. Dann gibt es Probleme – nicht nur auf der Strecke, sondern auch danach!“

Martina ist nicht nur Tierärztin, sondern auch Reiterin und mit ihrer Stute Shakira ebenfalls schon auf der langen Strecke unterwegs gewesen. „Ich selbst habe diesen Ritt nicht als Quälerei empfunden, aber ich war auch gut darauf vorbereitet“, erzählt sie. Im Jahr davor war das ganz anders: „Da waren 50 Kilometer unglaublich anstrengend, weil ich selbst nicht richtig fit war!“ Die richtige Vorbereitung des Reiters ist sicher ein ganz wichtiger Punkt, denn ein müder, überforderter Reiter sitzt schnell schief – und überlastet sein Pferd!

 

Training als Quälerei?

Zum Distanzreiten gehört natürlich auch das Training. Wenn ich bei 4 Grad Außentemperatur und Dauerregen noch zwei Pferde bewegen muss, dann freue ich mich nicht wirklich auf das tägliche Training. Es ist doch Quälerei, mit den armen Pferden täglich zu trainieren, oder? Diese Frage stellt sich tatsächlich vielen Nicht-Distanzlern: „Wie trainierst du das denn? So viel Zeit hätte ich gar nicht?“ Oder: „So viel zu trainieren, dazu hätte ich keine Lust!“ Aber ist wirklich so viel Training nötig, um auf die langen Strecken zu gehen?

Der ehemalige Bundestrainer Hans-Jörg Bendiner hat einmal berichtet, dass er seine Pferde überwiegend im Schritt trainiert habe, was natürlich in den Schweizer Bergen sehr gut vorstellbar ist. Ein oder mehrere Stunden bergauf- und bergabklettern ist für Kraft und Ausdauer ein hervorragendes Training, doch eher nicht für jeden norddeutschen Reiter machbar. Aber lernen kann man aus Hans-Jörgs Trainingsmethode auf alle Fälle etwas, egal wo man wohnt: „Ich reite nicht übermäßig schnell und lange, ich will doch meine Pferde nicht im Training schon kaputt reiten.“ Das ständige Trainieren von langen Ritten ist nicht nötig und auch gar nicht gesundheitsfördernd somit muss ein Training abwechslungsreich sein und wird auch bei dem oben genannten Dauerregen nicht zur Quälerei.

 

Training macht Spaß!

Mirja beispielsweise trainiert mit ihrem Tinker-Pony nach 3.300 Kilometern in der Wertung nicht mehr mit langen Trainingsritten. „Wir bummeln regelmäßig durchs Gelände und ich gymnastiziere sie“, erklärt Mirja, die mit Peggy regelmäßig in die Dressurstunde geht und auch mal artfremde Kurse wie Trail-Seminare besucht. Abwechslung gehört für viele Distanzpferde zu ihrem Training: Dressur, Springen, Wanderritte oder Trailparcour – ein Distanzpferd sollte vielseitig sein und auch so trainiert werden, dann ist auch das Training keine Quälerei.

 

Training als Vorbereitung

Im Training wird außerdem die Ausrüstung optimiert. Tierärztin Martina hat ihre Reithosen zu Hause auf ihre Langstreckentauglichkeit getestet: „Ich habe mir meine offenen Kniee alle im Training geholt!“

Wenn etwas nicht passt, ist es sicher sinnvoller zu Hause zu leiden, als im Wettkampf. Gut vorbereitet, wird dieser dann auch nicht zur Quälerei.

Auch wenn ich den unter Läufern immer wieder zitierten „Runner’s High“ noch nicht erlebt habe, bleibe ich dabei: Distanzreiten bedeutet für mich Glück.  Hoffentlich erinnert mich nächstes Wochenende jemand daran, wenn ich nach einer unbequemen Nacht um vier Uhr morgens bei eisiger Kälte aus dem Zelt krieche, um mein Pferd vor dem Wettkampf zu füttern…